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Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen

Titel: Die Schwebebahn - Dresdner Erkundungen
Autoren: Uwe Tellkamp
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mich an niemanden, der diese Prager Straße geliebt hat. Das scheint sie mit der heutigen zu teilen, die sich den Vorwurf seelenloser Verkaufsarchitektur gefallen lassen muß. Als ob die Prager Straße des Vorkriegs keine Verkaufsarchitektur gewesen wäre. Der Einwand lautet: schon, aber sie war nicht seelenlos. Was die Frage aufwirft, wodurch und ob Architektur den Zwecken früher besser entkam, ob sie geliebt werden muß und – das teilt sie mit jeder Kunst – für die vielen oder für die wenigen sein sollte. Geliebt wurden die Kastanienbäume (längst gefällt) und der Pusteblumenbrunnen von Leoni Wirth, von dem nur noch drei Sprühköpfe übriggeblieben sind; Verstümmelung und Ignoranz existieren zu allen Zeiten.
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    Streng nach der Fibel des Hotel- und Gaststättenwesens, »Gekonnt serviert«, lernte meine spätere Frau im Restaurant »Wrocław« das Handwerk des Gedeckauflegens und der Menagebereitung bei einem befrackten Herrn, dem Oberkellner Glücklich. Ein penibler Mann, er »ließ nichts durchgehen«, wie so mancher Dresdner in gehobener Zwischenposition. (Vielleicht ist das eine mehr oder weniger instinktive Abwehr: Schönheit – wie auch das Recht, über ihren Verlust zu klagen – will verdient sein; wo sich die Musen ausruhen, weil sie zu Hause sein dürfen, muß unnachsichtige Strenge walten. Eine Art Kompensation, begründet in Scheu und dem Gefühl, trotz allem noch einmal davongekommen zu sein: Dresdner sind nüchtern, doch abergläubisch.) Die jungen Auszubildenden – schreckliches Wort übrigens –, die damals Lehrlinge hießen, hatten sich in Reih und Glied aufzustellen: korrekte Kleiderordnung? Nähzeug und Sicherheitsnadeln dabei?(platzende Nähte bei dicken Bürgersgattinnen waren vorgekommen), gewaschen, gekämmt, Schmuck entfernt? Männerohrringe waren Oberkellner Glücklich ein Graus. Zärtlich ausgetüftelter Zwirbelbart, gepflegte Vokuhila-Frisur, Brillantknopf im Ohrläppchen – streng war auch Herr Durst, Oberkellner Glücklichs Kollege. Seine Lieblingsübung hieß Auflage des Hummerbestecks, und er philosophierte lange über das in der Ostsee nicht vorkommende Tier und sein schmackhaftes Fleisch. Er konstruierte, nachdem er Studien in verschiedenen Zoos betrieben hatte, rote Modell-Hummerscheren, um den Lehrlingen das entsprechende Aufbruch-Gefühl bieten zu können. Bitte, nehmen Sie die Bestellung auf, Fräulein Zimmermann! wies Herr Durst an. Der erste Kognak – immer von rechts servieren! – geht daneben, der Gast, offenbar begeistert über Fräulein Zimmermanns Erscheinen, schleudert mit impulsiver Geste das Glas vom Tablett, Gast und Lehrling kriechen unter dem Tisch umher, es bleibt beim Sie. Fräulein Zimmermann trug dunkelblaue Kleidung, zugemessen in der hauseigenen Schneiderei des Restaurantkomplexes. Ein Kellnerportemonnaie und, vorkommender Laufmaschen wegen, ein Paar Ersatzstrümpfe, fleischfarben, waren selbst zu stellen. Die Tischtücher wurden waffelsteif gemangelt, die Ecken justiert. Lange dachte Oberkellner Glücklich über eine genaue Bezeichnung dieser Tischtuchecken nach, die er mit dem Zollstock prüfte und die für das internationale Restaurantwesen von so sichtbarer Bedeutung waren, taufte sie, nach einer Sitzung der Quitten-Gesellschaft, die einen Papierkorb voller Konstruktionsskizzen hinterließ, Drachogramme, denn verschiedene andere Namen wie Raute oder flachgeklopfter Tetraeder, Kronleuchterkristall in Draufsicht und Vogelschnabelecke erwiesen sich als unzutreffend. Oberkellner Glücklich schob eine Postkarte hochkant zwischen Besteck und Teller, nur wenn sie lotrecht stehenblieb, war der Abstand korrekt. Salz- und Pfefferstreuer mußten auch innen, über dem Gewürz, blitzblank geputzt sein, Füllstand ¾. Sie werden plaziert! Dafür gab es eine Platzanweiserin, deren Aufgabe darin bestand, die Gäste des »Wrocław« zu ihren Plätzen zu geleiten. Die Nachttanzbar hieß »Mazurka«, der Restaurantkomplex »International«, Möbel aus den Hellerauer Werkstätten, Flitter- und Straßleuchter im Geschmack der frühen Siebziger, Clubsessel, Aschenbecher mit Senkstiel, umlaufender Ornamentfries an den Wänden, das Gebäude neben dem »Centrum«-Warenhaus mit seinen Blechwaben, heute alles abgerissen.
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    Prager Straße: Zeit, die sich aus Zeit entpuppt wie Töchter aus den Matrjoschkas, die in den Vitrinen der Direktorenzimmer, der Brigadeklubs, in den Kulturhäusern ihre deutsch-sowjetische Freundschaft verdämmerten; Heinrich-Mann-Buchhandlung,
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