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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut
Autoren: Ulrich Ritzel
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Kaufhaus muss vor einiger Zeit umgebaut worden sein, früher hat es ein Selbstbedienungsrestaurant im Untergeschoss gegeben, jetzt ist dort ein Heimwerkermarkt. Das ist ärgerlich. Wo ein Restaurant ist, müssen sie auch eine Toilette haben, sonst darf es nicht genehmigt werden.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?« Ein Mensch mit Hundeblick hat sich vor ihm aufgebaut. An der Brusttasche seines hellblauen Hundediensthemdes baumelt ein Plastikausweis.
    »Danke«, antwortet der Mann. »Das heißt nein. Ich suche. . .« Ja, was sucht er eigentlich?
    »Menschenskind, du . . .!« sagt Hundeauge. »Ich hab dich erst gar nicht erkannt.« Er packt die Hand des Mannes und drückt zu. Der Mann erschrickt. Revier Mannheim-Innenstadt? Oder noch in Weinheim. Irgendwas mit – Welt. Weltner? Wellner? Wallat?
    »Chikago, mittlerer Bezirk«, fährt der Untersetzte fort, »unsere Späßchen von damals. Na ja. Wie lange ist das her? Auch schon bald 30 Jahre. Und so lustig war das alles ja auch nicht.«
    Stegner? Nein. Steguweit. »Nein, besonders lustig war es nicht«, sagt der Mann.
    »Richtig«, meint Steguweit, und seine Stimme klingt plötzlich lauernd. »Jetzt weiß ich es wieder. Du bist dann ja ausgeschieden. . . Und was machst du jetzt denn so?«
    »Ich bin in Rente.«
    »Sei froh.« Steguweit schaut ihn zweifelnd an. »Doch nicht wegen der Sache von damals?«
    »Es ist halt nicht mehr gegangen«, sagt der Mann.
    »Ah ja«, macht Steguweit. »Kann ich gut verstehen. Bin ja auch nicht mehr dabei. Der Schichtdienst, verstehst du. Ich
mach jetzt hier den Sicherheitsdienst. Wenigstens hab ich da meinen regelmäßigen Feierabend.«
    Der Mann nickt.
    Steguweit nähert sich ihm vertraulich. »Was brauchst du denn? Wir haben hier nämlich Kollegenrabatt. Und vielleicht gibt es auch noch Remittenden-Ware, das geht« – Steguweit zwinkert kurz – »also das geht praktisch unter der Hand ...«
    Ein Glas Wasser, denkt der Mann. Aber das muss ich nicht gerade dir auf die Nase binden. »Einen Schlagbohrer, aber es muss etwas Solides sein.« Wie kommt er darauf? So weit ist das sogar richtig, er hat wirklich keinen. Und die Decke im Wohnblock ist der reine Stahlbeton.
    »Wenn es weiter nichts ist.« Steguweit zeigt zur Rolltreppe. »Wir haben da unten eine erstklassige Heimwerkerabteilung. Aber ich geh mit und rede ein Wort mit dem Ersten Verkäufer.« Er neigt vertraulich den Kopf und sagt halblaut: »Der Junge ist mir noch was schuldig.«
     
    Der Junge ist ein etwa 40 Jahre alter Mann mit einem fliehenden Kinn und einem Ausdruck in den Augen, den der Mann sofort versteht. Es ist Angst, Steguweit hat den Verkäufer in der Hand und nimmt ihn aus wie eine Weihnachtsgans, plötzlich erinnert sich der Mann an die Geschichte mit dem Mädchen, das außerhalb des Sperrbezirks auf den Strich gegangen war. Es war keine schöne Geschichte gewesen, und Steguweit war nur davongekommen, weil ein paar Kollegen einen glatten Meineid geschworen hatten.
    Sie stehen zu dritt in dem kleinen Kabuff hinter der Kasse, und der Verkäufer schleppt eine Schachtel nach der anderen her. »Es ist Eins-a-Ware«, versichert er, »nur die Verpackungen sind ein wenig angestoßen, bitte sehen Sie selbst, und das Gerät hier hat einen Fehler im Lack . . .«
    Es ist ein solide Maschine mit stufenlos verstellbarem Getriebe, die dem Mann schwer und Vertrauen erweckend in der Hand liegt, den Ladenpreis schätzt er auf gut und gerne 150 Mark. Aber das hat keine Bedeutung. Er muss hier raus. Er erträgt
es nicht. Was erträgt er nicht? Steguweit. Die Erinnerungen. Das Kabuff. Den Blick des Ersten Verkäufers.
    »Wie viel?«, fragt er. Der Verkäufer wirft einen ängstlichen Blick auf Steguweit. »Zwanzig Mark.« Der Mann holt sein Portemonnaie heraus und fingert zwei Zehn-Mark-Scheine heraus, dazwischen fällt ihm ein grüner Zettel zu Boden, er will sich bücken, aber der Verkäufer ist schneller und reicht ihm den Zettel, der Mann nimmt ihn und steckt dem Verkäufer das Geld zu, der grüne Zettel ist der Beleg des Schuhmachers, dem er vor einer Woche ein paar schwarze Halbschuhe zum Besohlen gebracht hat.
    »Du siehst«, sagt Steguweit, »wir lassen einen alten Kumpel nicht im Stich.«
     
    Als er das Kaufhaus wieder verlässt, schlägt ihm die Hitze wie eine Wand entgegen. Er hat die Jacke wieder ausgezogen und trägt sie in der einen Hand, in der anderen hält er die Einkaufstüte mit dem Schlagbohrer, den Dübeln und den Haken, die der Verkäufer ihm als Dreingabe
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