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Die schwarzen Raender der Glut

Die schwarzen Raender der Glut

Titel: Die schwarzen Raender der Glut
Autoren: Ulrich Ritzel
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drin.«
    Die Klasse lacht, nur Donatus fragt pikiert, woher sie das mit der Versicherung wissen wolle.
    Bettina legt den Kopf schief und schließt träumerisch die großen grünen Augen.
    »Carius II«, erklärt Esther (Homiletik, prot.), die zwei Tischreihen weiter hinten sitzt.
    »Exakt«, ergänzt Bettina. »Er hat gerade ein Praktikum beim Zentralverband der deutschen Versicherungswirtschaft gemacht.« Sie wirft einen selbstzufriedenen Blick auf Birgit und lässt die Augen langsam bis zu deren Füßen gleiten.
    »Zu schade«, sagt Birgit, zieht den Stuhl neben ihrem Arbeitstisch hervor und setzt sich mit übergeschlagenen Beinen, »zu schade, dass Maupassant keine deutschen Versicherungsfuzzis hat konsultieren können.« Schau du nur meine Beine an. »Es wäre überhaupt zu prüfen, was von der Weltliteratur
übrig bliebe, wenn alle rechtzeitig bei der Allianz vorgesorgt hätten.« Wo hab ich diesen Schlagertext schon einmal gehört? Aber natürlich. Hubert hat davon geredet. Wer sonst.
     
    Im Efeu-umrankten Innenhof des Instituts für Rechtsgeschichte drängt sich erwartungsvolles Publikum, die Herren im hellen Sommeranzug, die Damen in luftigen Kleidern, wie sie es sich sonst für einen Tagesbummel in Salzburg oder Verona ausgesucht hätten, für einen Augenblick muss Franziska gegen das heftige Gefühl ankämpfen, sie sei underdressed . Aufatmend erblickt sie die Kollegin vom Intelligenzblatt für den gehobenen Schuldienst, die Kollegin glänzt im schwarzlilaseidenen Cocktailkleid, wie beschissen das aussieht! Schmalhüftige junge Frauen in hochhackigen Pumps und knappen schwarzen Miniröcken balancieren Serviertabletts durch das Gedränge, ein Fernseh-Team bringt Scheinwerfer in Stellung, Franziska erkennt den Rektor der Universität und den Dekan und auch den Baron, der ihr aus der Entfernung zunickt, sehr aus der Entfernung, zum Glück.
    Neben einem Tisch mit Stapeln von neuen Büchern im immergleichen Hochglanz-Umschlag steht ein Mensch mit nach hinten gekämmten dünnen Haaren und lächelt panisch, es sieht aus, als habe ihm sein Zahnarzt zum festlichen Anlass ein perlweiß neues Gebiss gefertigt.
    Aus ihren Unterlagen weiß Franziska, dass der Autor bisher nur mit Abhandlungen wie zum Beispiel über die Hinterbliebenenansprüche im Staatshaftungsrecht hervorgetreten ist. Eines Tages aber fand er heraus, dass unsere Gesellschaft die Begabten und schöpferisch Tätigen krass benachteiligt zu Gunsten von Homosexuellen, von Frauen und anderen Minderheiten, und schrieb ein Buch darüber. Und nun ist der Rektor da und sogar das Fernsehen und filmt seine neuen perlweißen Zähne. Kommt er sich vielleicht komisch vor, überlegt Franziska. Vielleicht wird sie doch den Baron befragen müssen, was den guten Mann zu seinen Einsichten gebracht hat.
    Neben ihr unterhalten sich halblaut zwei Männer, beiläufig
stellt der eine – hoch gewachsen und mit einem Gesicht, als sei er einmal durch die Windschutzscheibe geflogen – eine Frage, Franziska glaubt zu verstehen: Schatte konnte nicht kommen? Und der andere antwortet: Nein, er kümmert sich um diese Elsass-Geschichte .
    Nicht schon wieder, denkt sie, ich seh und höre Gespenster. Sie wendet sich ab, denn die Menge teilt sich und schiebt sie zur Seite. Sanfte Röte überfliegt das Gesicht des Autors, sommerlich-duftig gewandetes Verlagspersonal geleitet den Festredner zum Mikrofon, einen in dieser Umgebung fremd und mit dem Publikum doch wieder auf distanzierte Weise vertraut wirkenden Mann. Sein Gesicht mit den hängenden Backen und buschigen Augenbrauen sieht wach und misstrauisch aus, so als verberge er hinter seiner scheinbaren Schwerfälligkeit eine höchst empfindliche Aufmerksamkeit für alle Verletzungen und Kränkungen, die Menschen weniger einander als vielmehr ihm zuzufügen in der Lage sind.
    Die Gespräche im Innenhof verstummen, der Verlagschef zelebriert die Begrüßungsrituale der Branche, Franziska sieht sich um und versucht, von dem Mann weiteren Abstand zu gewinnen, der durch die Windschutzscheibe geflogen ist, aber dann geriete sie neben den Baron, jetzt noch nicht, der Mundgeruch ist sehr streng, so bleibt sie stehen. Natürlich ist es nicht die Windschutzscheibe gewesen, weiß der Dichter eigentlich, in welcher Gesellschaft man ihn da sieht? Der Verlagschef plaudert über das Diktat der Mittelmäßigkeit und die wahre Freiheit des Geistes, die darin bestehe, selbst zu entscheiden, was dem freien Geist wichtig sei – der Verlagschef deutet
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