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Die schwarze Schatulle

Die schwarze Schatulle

Titel: Die schwarze Schatulle
Autoren: Batya Gur
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Klosters.
    »Der Große schleppt nach oben Benji, zu hinterem Garten«, sagte Hirsch. Er ging die Stufen hinauf, als wäre er kein alter Mann, kein Großvater. Wir mussten ihm regelrecht nachrennen.
    Wir kamen oben am Tor des Klosters an. Der Mond beleuchtete die Mauer, die Stufen und die hohen Bäume ringsum. Alles lag wie unter einer kalten Silberschicht. Der Mond hing auf der Spitze einer Zypresse wie ein Kahlkopf, ohne jedes Lächeln. Ich kletterte auf das verschlossene Tor und sah die weißen Grabsteine, die leuchteten, als wolle sich der Mond einen aussuchen. Und plötzlich fingen die Glocken an zu läuten. Einen Moment lang schien es mir, als hörte ich eine Bewegung im Garten, vielleicht sogar zwischen den Grabsteinen. Ich stieg hinunter und spürte auf einmal, wie meine Knie zitterten. Nach zwölf Schlägen herrschte wieder vollkommene Stille. Eigentlich war sie nicht vollkommen, denn danach waren Zikaden und Kröten zu hören. Wir sagten nichts, wir standen nur da und lauschten. Hirsch ging leise ein paar Stufen hinunter und beleuchtete mit seiner Taschenlampe den Weg hinter dem Kloster. Dann kam er wieder zurück und sagte, es gebe dort nur einen einfachen Zaun aus Maschendraht mit einer Öffnung. Ein dünnes Kind könne leicht hindurchkriechen. Er schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu: »Auch ein dickes Kind schafft das. Aber kein Erwachsener.«
    Wir hörten das Klirren von Schlüsseln, dann ging das Tor auf. Als hätte sie die ganze Zeit dahinter gestanden und auf uns gewartet, trat die Nonne von gestern heraus mit ihrem grauen Gewand und dem Kreuz. Sie fragte, was wir suchten. Sie machte ein Gesicht, als würde sie sich nicht an mich und Uri erinnern. Sie schaute uns noch nicht mal an, nur Hirsch.
    Er sprach sie auf Englisch an und sagte, wir würden einen kleinen Jungen suchen, einen blonden, dicken Jungen, der mit jemand Hochgewachsenem zusammen wäre.
    »Tut mir Leid«, sagte die Nonne, aber sie sah nicht besonders bekümmert aus. Ihre dünnen Finger berührten ihr Kreuz, das im Mondlicht aufleuchtete.
    Hirsch versuchte nicht zu diskutieren, er stellte keine einzige Frage. Er bedankte sich nur höflich und bedeutete uns, die Treppen hinunterzugehen.
    »Sie ist seine Komplizin«, sagte ich, als wir im Auto saßen. »Das sieht man ihr an.«
    »Das ich nicht glaube«, sagte Hirsch. Er war sich ganz sicher, dass Nonnen in Ein-Kerem nichts mit der Entführung und Bedrohung von Kindern zu tun hatten. »Sie einfach nichts sieht«, sagte er, ließ das Auto an und sprach weiter: »Wir fahren zu Benjis Haus, vielleicht seine Eltern gekommen. Man muss mit Eltern sprechen.«
    Einstweilen sprach der Schalthebel mit ihm. Er mochte nicht dauernd hin- und hergeschoben werden. Wenn es nach ihm ginge, wären wir schon längst schlafen gegangen. Hirsch hielt wieder an dem schmalen Weg am Fuß des Hügels. Erneut schauten wir hinauf zum Haus. Jetzt war alles erleuchtet und die Rollläden waren hochgezogen. »He«, sagte ich. »Seine Eltern sind wirklich zu Hause.«
    »Und was ist, wenn nicht sie es sind«, fragte Joli. »Los, schauen wir nach.«
    Alle zusammen standen wir vor dem verschlossenen Tor und klingelten ein paar Mal. Der Hund bellte nicht. Nach langem Klingeln wurde endlich das Tor geöffnet. Benji stand da, ganz allein, und blinzelte, um uns zu sehen, denn wir befanden uns im Schatten. Ich konnte nur sagen: »Benji, ich bin hier mit …«, da knallte er das Tor schon wieder zu. Mir direkt vor der Nase. Ich hämmerte mit den Fäusten gegen das Tor, trat sogar dagegen. »Mach auf, Benji«, schrie ich. »Was ist mit dir? Mach schon auf. Wir sind mit Jolis Großvater hier, wir wollen dir helfen.«
    Er gab keine Antwort.
    Hirsch versuchte auf Englisch mit ihm zu sprechen, aber noch immer hörten wir nichts.
    Gerade als ich mich fragte, wie wir ihn in diesem großen Haus allein lassen könnten, nach allem, was passiert war, sah ich ein Auto näher kommen, das aussah wie der Jeep seiner Mutter. Sie fuhr um den Hügel herum, beleuchtete ihn von der Seite und war verschwunden. Ich sagte, das sei meiner Meinung nach der Jeep von Benjis Mutter, sie habe einen Cherokee. Wir versteckten uns und warteten ein paar Minuten. Dann gab Hirsch mir ein Zeichen, ich ging zum Haus und klingelte wieder. Zweimal klingelte ich, dann noch einmal ganz lange. Schließlich ging das Tor auf und Benjis Mutter stand vor mir. Sie trug Jeans und hatte diesmal nicht ihren üblichen großen Malkittel an. Aber ihre Locken waren wirr wie
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