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Die schwarze Feder

Die schwarze Feder

Titel: Die schwarze Feder
Autoren: Heyne
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Blackwoods gewaltiger, knochiger Faust sah Howies geballte Hand aus wie die eines kleinen Mädchens, aber das war egal. Es kam bloß darauf an, dass sie jetzt Freunde waren und das mit einem Schwur besiegelt hatten.
    Als Howie sich von seinem geheimnisvollen neuen Freund abwandte und auf den Schuppen mit der Treppe zuging, flog der Rabe von der Brüstung aufs Dach. Mit seinem scharfen grauen Schnabel pickte er einen dahinkrabbelnden Käfer von den Fliesen und knackte dessen harten Panzer. Während die Beinchen des Insekts noch zuckten, legte er den Kopf zurück und ließ den Käfer in seinen Schlund gleiten.

Kapitel 3
    In dem Schrank, der auf dem Flur stand, waren drei Fotoalben und mehrere Schuhkartons mit losen Abzügen verwahrt. Die Alben rührte Howie nicht an, weil sie bis zu den Tagen vor der Scheidung und dem Brandanschlag zurückreichten, als er seinen Dad noch lieb gehabt und gemeint hatte, der würde ihn ebenfalls lieben. Immer wenn Howie diese alten Aufnahmen anschaute, wurde etwas aus ihm herausgesogen, ein Teil seiner selbst, den er nicht benennen konnte, ohne den er sich aber noch Tage später innerlich grau und kalt fühlte. Er sah die Welt dann anders, glanzlos, trübe und weniger farbig. Wenn er sich diese Fotos zu oft anschaute, würden sie ihn womöglich völlig auslaugen, und dann wäre die Welt nie wieder so, wie sie einmal gewesen war.
    Howie nahm zwei Kartons aus dem Schrank und setzte sich damit im Wohnzimmer auf den Boden, um rasch den Inhalt durchzuschauen, bis er zwei Bilder des Hauses gefunden hatte. Auf einem sah man es von der Straße aus, auf dem anderen war die Garage zu sehen, beschattet von einer wohl hundertjährigen Buche. Er fand Fotos, auf denen seine Schwester und seine Mutter einzeln abgebildet waren, doch er wählte eines aus, auf dem sie nebeneinander standen, die Arme um die Schultern gelegt. Darauf strahlten sie so fröhlich in die Kamera, dass Mr. Blackwood bestimmt sehen konnte, wie nett sie waren. Dann wusste er, dass er sich nicht bei blöden Leuten einmietete. Mrs. Norris, die vor drei Tagen ausgezogen war, um zu ihrer Schwester nach Illinois zu ziehen, hatte gesagt, Howies Mom sei nicht nur eine Vermieterin, sondern auch eine Freundin für sie gewesen. Auf diesem Foto konnte Mr. Blackwood sehen, dass nicht nur Howie sich als Freund eignete. Auch seine Mom und Corrine waren Leute, die sich nicht darum kümmern würden, wie Mr. Blackwood aussah, und die zu seinen Freunden werden konnten.
    Er stellte die Schuhkartons in den Schrank zurück. Aus dem Schreibtisch des kleinen Arbeitszimmers holte er einen Umschlag und steckte die drei Bilder hinein. Fröhlich wie schon lange nicht mehr schloss er die Haustür ab und lief über den Friedhof, wo auf einem Grabstein ein Rabe saß, der ihn beobachtete und dabei lautlos den Schnabel auf- und zuklappte. Wahrscheinlich war das nicht der Vogel von Mr. Blackwood, sondern einer, der bloß so ähnlich aussah. Am Warenhaus angelangt, trat er durch die Hintertür, deren Riegel er wie vorher offen gelassen hatte, um nicht durch das Fenster schlüpfen zu müssen. Von innen legte er den Riegel dann vor.
    Auf dem Dach wartete Mr. Blackwood in der Nachmittagssonne. Er spähte wieder durch eine Spalte in der Brüstung auf die Straße hinab. Beim Anblick seiner missgebildeten Gestalt musste Howie einen Moment lang an den großen Käfer denken, den der Rabe mit dem Schnabel gepackt und zerquetscht hatte. Die auffällig glatte Haut des Mannes glänzte stellenweise wie der Panzer des Insekts, und die stumpfen Kieferknochen mit dem merkwürdigen Mund erinnerten an Kauwerkzeuge. Dieser Vergleich war jedoch derart gemein, dass Howie sich schämte und ihn von sich wegschob, während er übers Dach lief und sich neben seinen Freund kniete, um ihm den Umschlag zu überreichen.
    Das Bild des Hauses an der Wyatt Street gefiel Mr. Blackwood offenkundig, denn er sagte, es sehe sehr gemütlich aus, vielleicht sogar wie das gemütlichste Haus, das er je gesehen habe. Ebenso gefiel ihm, dass es nur auf einer Seite Nachbarn gab, weil sich auf der anderen Seite der Friedhof befand. Ruhig und ungestört sei man da. Selbst die Hausnummer, die an einem der Verandapfosten sichtbar war, gefiel ihm: 344. Das sei eine Glückszahl, was Howie nicht einleuchtete, bis Mr. Blackwood erklärte, die Quersumme der drei Zahlen ergebe elf. Dank des Schattens der großen Buche neben der Garage werde die Wohnung im Sommer kühl bleiben, und außerdem sei es schön, so einen Baum
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