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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer
Autoren: Ann Benson
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nur ein Wort herausbrachte. Natürlich holte mein Sohn mit seinen jüngeren Beinen mich ein. Aber ich gestattete ihm nicht, mich zu Jean de Malestroit zu begleiten. Er legte daraufhin ein für einen Priester höchst unschickliches Verhalten an den Tag, er fluchte unvermittelt und gebärdete sich höchst unheilig, alles Handlungen eines wütenden Sohnes, der seine Mutter zu beeinflussen sucht. Aber ich gab seinen beharrlichen Überredungsversuchen nicht nach.
    Eminenz hatte das Abendessen vor sich stehen. Überall auf dem Tisch lagen Pergamente verstreut, das Essen schien unberührt. Die sorgenvolle Miene schmolz von seinem Gesicht, als ich eintrat, und seine Herzlichkeit war aufrichtig.
    »Ich dachte, Ihr würdet mit Eurem Sohn speisen, sonst hätte ich Euch zu mir eingeladen.«
    »Ich habe heute keinen Appetit.« Ich deutete auf sein unberührtes Tablett. »Ihr auch nicht, wie mir scheint.«
    »Beim Anblick von Essen dreht sich mir der Magen um.«
    »Das ist verständlich angesichts dessen, was ich eben erfahren habe. Stimmt es, dass er um Milde schachern will?«
    »Ja.«
    »Und werdet Ihr sie ihm gewähren?«
    »Nur wenn mich die Umstände dazu zwingen, was ich mir nicht vorstellen kann. Wenn sich zwischen jetzt und morgen nicht etwas Außerordentliches ereignet, werde ich ihn dazu verurteilen, auf dem Scheiterhaufen zu brennen, bis er nur noch Asche ist. Und dann werde ich dafür sorgen, dass seine Asche in alle Winde verstreut wird.«
    Es war ein schreckliches, unvorstellbares Schicksal für jemanden, der an ein Leben nach dem Tode glaubte, zu wissen, dass seine fleischlichen Überreste verweht würden wie unwürdiger Staub. Doch das war nur angemessen.
    »Ich bin nicht die Einzige, deren Seelenruhe auf ewig gestört wäre, würde man ihm Gnade erweisen. Er hatte keine Gnade für meinen Sohn und auch für die Legionen anderer verlorener Söhne nicht.«
    »Und Ihr seid nicht der einzige Mensch mit solchen Gefühlen«, erwiderte er leise. »Aber ich bin gezwungen, mir seine Bitte anzuhören, sowohl als Richter wie als Mann Gottes.«
    »Wann geht Ihr zu ihm?«
    »Das Urteil und die Strafe werden morgen verkündet. Es muss also heute Nacht noch sein.«
    »Ich möchte Euch denselben Rat geben, den Ihr mir wohl geben würdet, müsste ich hinaufsteigen in diesen Hort des Teufels.«
    »Und der wäre …«
    »Seht Euch vor, dass er Euch nicht hinters Licht führt. Der Teufel ist ein Lügner und nimmt vielerlei Gestalt an, von denen eine dort oben lauert.«
     
    Ich kehrte zu meinem Sohn zurück, und wir taten so, als würden wir essen. Wir schoben das Essen auf dem Teller hin und her; unsere Fingerspitzen wurden fettig, doch unsere Messer blieben so gut wie unbenutzt. Schließlich kam die junge Schwester, die uns die Mahlzeit gebracht hatte, und trug fast alles wieder fort. Gemeinsam besuchten wir die Abendandacht, und als es an der Zeit war, dass jeder von uns nach eigenem Wunsch und Begehr betete, bat ich um eine schnelle und sichere Bestrafung des Gilles de Rais. »Morgen wird das Urteil verkündet«, sagte ich, als ich mich von den Knien erhob. »Wir werden dabei sein, im Andenken an deinen Bruder und meinen Sohn und an all diese Kinder, die uns genommen wurden.«
    »Amen«, sagte Jean.
    Vor der Kapelle gingen wir unserer getrennten Wege, er zu seinen Gefährten, ich ins Kloster. Auf dem Hof kam mir eine junge Schwester mit der Nachricht entgegen, dass Seine Eminenz mich zu sprechen wünsche.
    Ohne einen Augenblick des Zögerns eilte ich zu seinen Gemächern.
    Er bot mir einen Sessel an, und ich setzte mich, doch die Frage sprang mir sofort von der Zunge. »Was hat Eure Begegnung ergeben?«
    »Er wird in geheiligter Erde begraben werden«, sagte er leise.
    »Wir werden ihn zuerst hängen und dann verbrennen, doch sein Leichnam wird aus den Flammen geholt, bevor er ganz zerstört ist.« Er sah mir in die Augen und wartete auf meine Erwiderung.
    Ich ließ mir Zeit, bevor ich etwas sagte. »Eine symbolische Opferung.« Ich war bitter unglücklich, fand jedoch keine Worte, um es angemessen auszudrücken. »Was ist mit den anderen?«
    »Er hat darum gebeten, dass man ihnen gestatte, nach ihm zu sterben, damit sie Zeugen seiner Hinrichtung sein können und so mit Sicherheit wissen, dass er der Strafe nicht entgangen ist; er meint, sie verdienen diese Behandlung, da er die Ursache ihrer Verirrung war, standen sie doch in seinen Diensten. Auch glaubt er, dass ohne seinen Einfluss weder Poitou noch Henriet ein solch
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