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Die schönsten Dinge

Die schönsten Dinge

Titel: Die schönsten Dinge
Autoren: Toni Jordan
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schinden wollte, er wollte sich erst beruhigen, bevor er etwas erwiderte. Als er so weit war, sagte er mit sanfter Stimme: »Komm mal her, Della.«
    Am liebsten wäre ich im Boden versunken, aber ich ging um den Schreibtisch herum und blieb vor ihm stehen. Er hatte mich nie bestraft, nicht richtig, kein einziges Mal.
    Hinter seinem Schreibtisch hing in einem Rahmen eines meiner Bilder: ein sanfter Hügel und Wolken, aus denen gelbe Sonnenstrahlen tropften. Ich konnte mich noch daran erinnern, wie ich das Bild gemalt und mich gefreut hatte, es ihm schenken zu können.
    Er zog mich in seine Arme und auf sein Knie und öffnete meine Faust, in der er den gefalteten Zehndollarschein fand. Dabei seufzte er, als sei er tief getroffen. Ich schämte mich so für das, was ich zu ihm gesagt hatte, dass es wie eine Last auf meinen Schultern lag und ich kaum die Arme heben konnte. Ich wollte mich nur noch entschuldigen und es zurücknehmen, alles zurücknehmen.
    Â»Wie ich sehe, hattest du großen Erfolg, Della. Aber ich glaube, du hast die vierte Regel vergessen«, sagte er schließlich. Er biss sich auf die Unterlippe, bevor er fragte: »Wie lautet die vierte Regel?«
    Â»Den Kunden zu beobachten, bis er weg ist«, antwortete ich. »Sich das Geld immer erst anzusehen, wenn der Kunde außer Sichtweite ist.«
    Â»Genau«, sagte er. »Das nennen wir die Kenny-Rogers-Regel – there’ll be time enough for counting when the dealing’s done. «
    Â»Gezählt wird erst, wenn alles vorbei ist«, sagte ich.
    Â»Das hast du nicht getan, oder, Della? Du hast ihr nicht nachgesehen.«
    Manchmal glaubt man, die Sache wäre erledigt, aber sie ist es nicht. Das hatten sie mir gesagt. Und an diesem Tag stimmte es. Ich hatte den Blick nicht von den zehn Dollar wenden können. Diesen Fehler habe ich nie wieder gemacht.
    Ich schüttelte den Kopf. Mein Vater sah Ruby mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    Â»Ich habe sie beobachtet«, sagte Ruby. »Eins siebzig, eins fünfundsiebzig. Anfang vierzig. Kurze, lockige Haare, hellbraun und an den Wurzeln grau. Gut fünfundsiebzig Kilo. Ausgeprägte Krampfadern an den Waden. Ich habe sie im Auge behalten, bis sie um die nächste Ecke gebogen ist. Sie ist aufrecht gegangen. Sie war stolz.«
    Mein Vater zog meinen Rock zurecht und beugte sich leicht vor, um mir die weißen Socken hochzuziehen. »Hör mir mal gut zu, Della. Es gibt zwei Sorten von Menschen, die uns Geld geben. Die einen sind gierig. Sie glauben, sie könnten für nichts etwas bekommen oder aus dem Unglück anderer Leute Kapital schlagen. Sie sind Opportunisten. Siehst du diese Steine?«
    Beim Reden hob er mit einer Hand das burgunderrote Säckchen an, und fünf rechteckige Smaragde purzelten auf den Tisch. Sie waren wunderschön, glitzernd und verlockend. Ich musste mich zurückhalten, um sie nicht zu berühren. Mein Vater hob einen Stein mit spitzen Fingern auf und ließ ihn im Licht funkeln.
    Â»Irgendein gieriger Mensch wird mir diese Steine abkaufen, weil er sie für echt hält. Er wird sich überschlagen, um mir vier-, fünf- oder zehntausend Dollar zu geben, mir schnell einen Scheck ausschreiben oder mir Bargeld in die Hand drücken. Ich werde ihn nicht davon abbringen können, auch wenn ich zögere, sein Geld anzunehmen. Er wird die Steine kaufen, weil er glaubt, sie wären ein Vielfaches davon wert. Er wird glauben, sie wären gestohlen, aus einem Land herausgeschmuggelt, das gegen sich selbst Krieg führt, in dem Menschen wie Sklaven schuften und sterben, um sie zu finden. Manchmal müssen sogar Kinder in tiefen Löchern nach solchen Edelsteinen graben. Findest du es gerecht, wenn Kinder so etwas machen müssen?«
    Â»Nein«, antwortete ich. Nein, es war nicht gerecht. Jedes Kind sollte ein Zimmer wie meines haben und einen Vater wie meinen und nicht in einem Loch graben müssen. Ich hatte wirklich Glück.
    Â»Und wenn der Käufer dann merkt, dass die Steine nicht echt sind, falls er es überhaupt bemerkt, ist der Scheck schon eingelöst, das Konto ist leer, und ich bin verschwunden. Er geht auch nicht zur Polizei, weil es ihm zu peinlich ist oder weil er dann zugeben müsste, dass er eine Straftat begehen wollte. Verdient so ein Mensch keine Strafe?«
    Ich nickte. Doch, natürlich verdiente er sie.
    Â»Die zweite Art von Menschen, die uns Geld gibt, ist vielleicht
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