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Die schönsten Dinge

Die schönsten Dinge

Titel: Die schönsten Dinge
Autoren: Toni Jordan
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Mutter gar nicht mehr erinnern.«
    Ich kniff die Augen zusammen. Dann öffnete ich sie und ließ meine baumelnden Beine mit mehr Schwung gegen den Sitz prallen. Meine Schuhe überzogen die Holzverkleidung des Handschuhfachs mit Kleinmädchenspuren. Am liebsten hätte ich ihr den Geldschein an den Kopf geworfen, aber ich konnte die Hand nicht öffnen.
    Â»Es hat mir sowieso nicht gefallen. Ich habe das nicht gerne gemacht«, sagte ich. »Es war falsch, der Frau das Geld wegzunehmen. Ich werfe es aus dem Fenster.«
    Ich hätte stundenlang nachdenken können, und mir wäre doch nichts eingefallen, was sie tiefer getroffen hätte. Es war falsch, der Frau das Geld wegzunehmen. Jetzt kann ich mir nicht mal mehr vorstellen, dass ich so gedacht habe. Wie ein Kind, das noch klein genug ist, um an den Weihnachtsmann zu glauben oder mit einem Teddy im Arm zu schlafen. Jetzt sehe ich Ruby als junge Frau, die sich nach Kräften bemühte, meinen Vater zu lieben, sich in die Familie einzufügen und die Kinder einer Frau aufzuziehen, der sie nie begegnet war. Von allem, was ich als Kind, als aufsässige Pubertierende oder arroganter Teenager gesagt habe, bedauere ich diesen Satz am meisten. Gerade ihn hätte ich herunterschlucken sollen.
    Ich wurde oft für Rubys Tochter und manchmal für ihre kleine Schwester gehalten. Sie war schlank, hatte hohe Wangenknochen und bewegte sich wie ein Model. Ihr elegant frisiertes Haar war ebenso rotbraun wie meines, aber glatt statt voll wilder Locken. Sie lässt sich die Haare immer noch zweimal die Woche von Luigi in der High Street machen, wo sie unter falschem Namen Termine vereinbart und immer bar bezahlt. Von ihr habe ich eine gewisse Eleganz und Kultiviertheit gelernt. Sie wusste, dass wir beide wegen unserer Haare weder Rot noch Rosa oder Marineblau tragen sollten. Ihre Augen strahlen in einem kühlen Braun, während meine grün sind.
    An diesem Tag hat sie mich zum einzigen Mal grob angefasst. Als wir das Ende der langen Auffahrt in der Cumberland Street erreicht hatten, stieß sie ihre Tür auf und kam zu meiner herum. Sie riss mich am Arm aus dem Auto. Ihre blutroten Nägel gruben sich in meine Haut. Sie ließ die Autotür offen stehen und zerrte mich ins Haus, durch den schmalen Flur, das Wohnzimmer und die Bibliothek bis in die Küche. Die Küche allein ist so groß wie eine Wohnung, mit blassgrünen Holzschränkchen, vier steinernen Spülbecken und Haken unter der Decke, an denen Töpfe und Pfannen und alle möglichen Utensilien hängen. Die Speisekammer, in der sich die Falltür befindet, ist so groß wie mein Zimmer und voller Gläser mit Pfirsichen und Pickles, Kartoffelsäcke und Schalen mit Walnüssen. Ruby und meine Tante Ava hamstern immer noch zwanghaft Vorräte.
    Sie zog die Falltür an dem versteckten Seil hoch und führte mich die Stufen hinunter zum Arbeitszimmer meines Vaters. Mit der Faust schlug sie in dem Rhythmus gegen die Tür, an dem er sie erkannte. Die Tür öffnete sich; er hatte den versteckten Knopf in der obersten Schublade gedrückt. Er beugte sich konzentriert über den Tisch. Vor ein Auge hatte er sich seine Juwelierlupe geklemmt, vor ihm lag ein Samtbeutel. Ich sehe den Beutel noch lebhaft vor mir, das satte Burgunderrot auf der grünen Schreibtischoberfläche, das Häufchen, das er mit den Fingern hineinschob.
    Â»Laurence«, sprach Ruby ihn an.
    Er blickte auf. Mein Vater war ein guter Beobachter, sicher waren ihm ihr Ton, ihr Blick und ihr fester Griff um meinen Arm aufgefallen. Die Lupe fiel herunter. Er fing sie auf, bevor sie auf den Schreibtisch prallte.
    Â»Ah«, sagte er. »Da ist meine Kleine ja wieder. Wie ist es gelaufen?«
    Sie schubste mich vor seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme. »Sag es ihm. Sag ihm, was du gerade im Auto zu mir gesagt hast.«
    Er zog eine Augenbraue hoch und legte die Fingerspitzen aneinander. Im Licht der Lampe funkelte der Ring an seinem kleinen Finger.
    Â»Ich habe nur gedacht, es war vielleicht nicht richtig, von der Frau Geld zu nehmen«, sagte ich nach einer Weile Richtung Teppich. Ich konnte den Blick nicht von meinen Schuhen lösen. »Ich habe gedacht, ich hätte das vielleicht nicht machen sollen.«
    Einen Moment lang starrte er mich nur an. Er wurde aschfahl und wischte sich mit dem Tuch aus seiner Brusttasche über die Stirn, und ich wusste, dass er Zeit
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