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Die schoene Tote im alten Schlachthof

Die schoene Tote im alten Schlachthof

Titel: Die schoene Tote im alten Schlachthof
Autoren: Sabine Schneider , Stephan Brakensiek
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wenig zu perfektionieren, als er neckisch um die Tür
herum auf das Gästebett blickte.
    Doch sein Lächeln
erstarrte und mutierte dann zu einem unendlichen lautlosen Schrei, der seinen
Kopf fast platzen ließ. Auf dem Bett fand er nicht die erwartete personifizierte
Lebenslust. Auf dem Bett lag eine Frau: fremd, nackt und augenscheinlich
leblos. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starr. Die karottenroten, kurz
geschnittenen Haare standen in alle Richtungen ab und stellten ein Pendant zu
den in der gleichen Farbe lackierten langen Fingernägeln der gespreizten Hände
dar, die schlaff auf dem zerwühlten Bettlaken lagen. Die gazellenartig langen
Beine bildeten mit der unteren Bettkante ein nahezu gleichschenkliges Dreieck.
In dessen spitzem Winkel vermochten die roten Schamhaare nicht alles zu
verdecken, was vielen Männern und vielleicht auch Frauen vor nicht allzu langer
Zeit noch sehr verlockend erschienen sein musste. Doch das war Vergangenheit.
Realität war ein Anblick, der in Thomas gleichzeitig ein Frösteln, Schweißausbrüche
und ein nicht zu beherrschendes Gefühl der Übelkeit verursachte.
    Der Aufenthalt auf
der Toilette war lang und intensiv. So wie sein Blick in den asymmetrischen
Kristallspiegel mit dem passend zu den Schieferfliesen anthrazit gebeizten
Holzrahmen. Es dauerte eine ganze Weile, bis wieder Bewegung in seinen Körper
kam. Langsam und an jedem festen oder auch losen Gegenstand Halt suchend
schleppte er sich in sein Arbeitszimmer. Auch hier, an der Stätte seiner
genialen Einfälle, kam sein Gehirn nur langsam in Fahrt. Inmitten des
gedanklichen Chaos fanden schließlich drei Fragen und eine sich stetig
wiederholende Antwort den Weg in sein Bewusstsein: Wer ist das? Was, verdammt
noch mal, macht sie in meinem Bett? Polizei? –Scheiße, Scheiße, Scheiße,
Scheiße!
    *
    Der
Kriminalbeamte Christian Buhle, der offenbar das Sagen über diese stumme Armee
weiß uniformierter Ameisen hatte, stand vollkommen ruhig in der
gegenüberliegenden Ecke des Wohnzimmers. Sein Blick schien Thomas nur
gelegentlich, fast nebenbei zu streifen. Viel mehr Beachtung fand dagegen die
Einrichtung des Wohnzimmers.
    Lange schaute er die
schier endlosen Reihen des Bücherregals entlang, als ob er später in seinem
polizeiinternen Bericht aus dem Gedächtnis eine Aufstellung der dort
vertretenen Literatur wiederzugeben gedachte. Thomas überlegte kurz, welchen
Eindruck seine Sammlung marxistischer Literatur wohl auf den beunruhigend
teilnahmslosen Kommissar machte. Er hatte die gut zwei Meter zumeist gebundener
Wälzer kurz vor Beginn der Währungsreform auf der Klassenfahrt in Dresden für
»’nen Appel und ’ne Banane« – der Lacher an dieser Stelle war zu Studienzeiten
bei den Wessis in Kaiserslautern immer vorprogrammiert gewesen – erstanden.
Lediglich einige Engels- und Lenin-Bücher hatte er erst später, in seiner
Erstsemesterzeit, von einem Spartakus-Aussteiger für harte West-Mark gekauft.
Doch sosehr diese Kleinbibliothek linken Pseudointellektualismus auf seine
damaligen Kommilitonen und einen Teil seiner heutigen Geschäftsfreunde Eindruck
machte, im Gesicht des an der anderen Zimmerwand real existierenden
Kriminalbeamten war nichts dergleichen zu erkennen. Genauso wenig wie damals
bei seinem Vater.
    Erst als Buhle die
Familiengalerie näher in Augenschein nahm, studierte er jedes Foto mit
merklichem Interesse. Nach der letzten Aufnahme, die die beiden Kinder beim
Auspacken der Geschenke am vergangenen Weihnachtsfest zeigte, erlosch die fast
menschlich wirkende Regung in seinem Gesicht jedoch wieder. Dafür schien in
seinem Körper ein Mechanismus in Gang gesetzt worden zu sein, der ihn langsam,
aber unaufhaltsam auf Thomas zukommen ließ.
    »Erstaunlich
sympathische Kinder haben Sie, Herr Steyn. Wo sind die eigentlich momentan?«
    Hatte Thomas
geglaubt, seit dem Anruf beim Polizeipräsidium wenigstens den Hauch von
Kontrolle wiedergewonnen zu haben, so traf ihn der erste Satz Buhles wie
schwüle Sommerhitze eine eisgekühlte Colaflasche. Der Schweiß trat ihm
schneller auf die Stirn, als sein Blick zur kleinen Standuhr im Bücherregal
hasten konnte. Es war Viertel nach drei. In spätestens zehn Minuten würde Marie
mit Mattis und Nora zum Bahnhof aufbrechen.
    »Entschuldigen Sie.
Ich muss telefonieren.«
    Das Smartphone lag
unter der Fernsehzeitschrift. Thomas brauchte vier Versuche, bis er die
richtige Nummer gewählt hatte. Mit Mühe gelang es ihm, sich den Weg vorbei an
einem in einen weißen
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