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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel
Autoren: Corina Bomann
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Gesicht der Großmutter erschien.
    Seltsam, dass ich mich jetzt an sie erinnere und nicht an Mutter, dachte sie, während sie im Geiste die feinen Linien auf dem Gesicht nachzog, ihren Blick über das sattrote Haar streichen ließ, das ihr schottisches Erbe war, und die weiße, zu Sommersprossen neigende Haut betrachtete. Wie neidisch war sie als Kind auf ihre strahlende, helle Großmutter gewesen! Ihre Mutter Helena und sie selbst waren eher dunkle Typen, mit schwarzen Locken und fremdartig geschnittenen Augen, die Großmutter als Erbe der Familie ihres Mannes bezeichnet hatte. Leider war ihr Großvater, der Kapitän, bereits vor ihrer Geburt verstorben.
    »Für heute bleibst du erst einmal hier«, beschied Deidre, als sie aus der gedanklichen Ferne zurückgekehrt war. »Du wirst im Zimmer meiner Tochter schlafen, Emmely schläft heute Nacht bei mir.«
    »Aber …«, begann Emmely, der es offensichtlich lieber gewesen wäre, sich das Zimmer mit dem Neuankömmling zu teilen.
    »Keine Widerrede, unser Gast bekommt ein Zimmer für sich.« Deidres scharfer Blick beendete die Diskussion. »Geh nach oben und zeig Beatrice den Raum. Dann bereitest du alles vor. Ich werde derweil wieder ins Hospital gehen.«
    Damit erhob sie sich und eilte steifen Schritts nach draußen. Die beiden jungen Frauen sahen einander schüchtern an.
    »Es tut mir leid, was mit deiner Mutter und deinem Mann passiert ist«, sagte Emmely schließlich und legte ihre Hand sanft über die schmutzverkrusteten Finger ihres Gegenübers. »Es ist immer schwer, Menschen, die man liebt, zu verlieren.«
    »Hast du im Krieg auch jemanden verloren?«, fragte Bea­trice, denn Emmely wirkte eigentlich recht gesund und zufrieden. Doch nun erstarrte ihr Lächeln.
    »Ja, das habe ich«, antwortete sie, während sie angestrengt in ihre Teetasse blickte. »Mein Kind.«
    »Ist es bei einem Angriff ums Leben gekommen?«
    Beatrice hatte gehört, dass London bombardiert worden war.
    Emmely schüttelte jedoch den Kopf. »Fehlgeburt im fünften Monat. Mein Mann war gerade zur Front eingezogen worden. Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt. Vermutlich glaubt er, dass unser Kind schon laufen kann.«
    Und dann spendet sie mir Trost?, fragte sich Beatrice. Das Kreuz auf ihren Schultern ist ähnlich schwer.
    »Aber lass uns darüber ein anderes Mal weiterreden.« Emmely erhob sich und zwang die Erinnerung mit einem bitteren Lächeln zum Rückzug. »Komm, ich zeige dir das Zimmer. Es ist sehr schön und hätte durchaus für uns beide gereicht, aber wenn Mutter will, dass ich ihr in der Nacht ­etwas vorschnarche …«
    Emmely führte sie durch ein Labyrinth von Gängen, vorbei am ehemaligen Ballsaal, in dem sich Betten und auf dem Boden liegende Matratzen aneinanderreihten, dann eine Treppe hinauf. Auch in den oberen Gängen stapelten sich Möbelstücke und Kisten, die aus anderen Räumen hatten weichen müssen. Als sie eine der Kisten leicht mit dem Arm streifte, ertönte ein helles Klirren wie von Glas oder Kristall. Wahrscheinlich warteten all die verpackten und abgestellten Dinge ebenso wie die Menschen darauf, dass der Frieden zurückkehrte.
    »Da wären wir.« Emmely öffnete eine breite Flügeltür. Das Zimmer dahinter war warm und wirkte noch einigermaßen aufgeräumt. Die Blümchenmuster auf den Tapeten waren verblasst, doch noch immer ahnte man, was für ein schöner Raum dies einst gewesen war. Unter den hohen Fenstern, die von einer leicht vergilbten Gardine verhangen wurden, standen umgedrehte Gemälde, deren Rahmen im Licht golden schimmerten.
    Am meisten beeindruckte Beatrice die Schlafstelle. So ein schweres, breites Bett wie dieses, das einen Großteil des Raumes einnahm, hatte sie noch nie gesehen. Auf den Lehnen zweier Stühle hingen die Kleider, die Emmely wohl am häufigsten trug, der Kleiderschrank, dessen Türen leicht aufklafften, war mit anderen Dingen vollgestellt.
    »Wenn du möchtest, schenke ich dir ein Kleid«, bot Emmely an. »Das, was du jetzt auf dem Leib trägst, bekommt man nicht einmal mehr durch Flicken wieder hin.«
    »Danke, ich …«
    »Komm her!« Emmely trat vor eine der Kommoden und zog sie auf. Darin lagen verschiedene Kleidungsstücke, von Unterwäsche über Blusen und Röcke bis hin zu Pullovern und Schals. »Was möchtest du davon?«
    »Ich …«
    »Nun sei nicht schüchtern!«
    »Aber ich weiß doch noch nicht mal, ob ich bleiben darf. Deine Mutter …«
    »Ach, Mum wird schon nachgeben, das verspreche ich dir.« Emmely fischte
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