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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel
Autoren: Corina Bomann
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Schwärende Wunden schienen hier auf ­Medikamentennotstand und mangelhafte Desinfektion zu treffen.
    »Wir haben seit gut drei Jahren ein Lazarett im Haus«, erklärte Emmely, der das Schweigen offensichtlich unangenehm war. »Die Räume bersten aus allen Nähten. Bitte nimm es Linda nicht krumm, dass sie dich wegschicken wollte. Im Moment werden wir von Kriegsheimkehrern und Hungernden regelrecht überrannt.«
    Beatrice blickte verlegen auf ihre schmutzigen Schuhe. »Das tut mir leid.«
    »Wir kommen schon zurecht«, meinte Emmely gütig, während sie ihren Arm kurz auf Beatrices Schulter legte. »Du bist hier am richtigen Ort.«
    Bei diesen Worten wurde Beatrice schwindelig. Gab es überhaupt einen richtigen Ort für sie und ihr Kind? Das, was sie Heimat genannt hatte, war gerade in Blut und Trümmern versunken.
    Obgleich die Küche recht groß war, herrschte hier ziemlicher Platzmangel, denn jeder Zentimeter freier Boden wurde als Stellraum für Kisten, Schränke und andere Möbel genutzt. Wenn es gefahrlos möglich war, standen mehrere Stücke übereinander. In der Mitte blieb lediglich Platz für den Herd und einen Tisch mit vier Stühlen.
    »Schreckliche Zustände, aber man gewöhnt sich dran«, seufzte Deidre, während sie drei Tassen vom Bord nahm. »Früher hatte ich Bedienstete hierfür, aber der Krieg nimmt einem nicht nur die Freiheit, sondern auch sämtliche Privilegien. Jetzt essen wir mit unseren Dienstboten, die eigentlich gar nicht mehr für uns arbeiten, an einem Tisch.«
    Nur schwach erinnerte sich Beatrice daran, dass ihre Familie ebenfalls ein Hausmädchen gehabt hatte. Das Aussehen ihres Hauses, ihres Zimmers und der Kleider, die sie einst trug, waren so stark mit dem Leid, das sie erlebt hatte, übertüncht, dass sie kaum noch wusste, wie ihr Leben damals gewesen war, bevor der Wahnsinn begann.
    »Was ist mit der Frau, die die Tür geöffnet hat?«, fragte Beatrice, während sie sich langsam auf dem angebotenen Platz niederließ.
    »Linda ist mein Hausmädchen, trägt ihre Uniform aber nur noch pro forma, denn sie wird im Lazarett gebraucht. Meine Tochter und ich helfen ebenfalls so gut mit, wie wir können.« Deidres Blick streifte ihren Bauch.
    »Ich könnte ebenfalls mithelfen«, bot sich Beatrice an, doch ihre Tante schüttelte den Kopf.
    »Bestenfalls könntest du in der Küche helfen, aber nicht bei den Kranken. Du würdest Gefahr laufen, dein Kind zu ­verlieren, wenn du dich mit irgendwelchen Keimen ansteckst.«
    Der unangemessen heftige Tonfall ließ Beatrice zurückschrecken und die Zweifel zurückkehren. Dass sie dir erlaubt haben, mit ihnen in einer mit Gerümpel vollgestellten Küche zu sitzen, heißt noch lange nicht, dass du schon zur Familie gehörst.
    Als Deidre weitersprechen wollte, stieß der Kessel auf dem Herd hinter ihr ein schrilles Pfeifen aus. Sie erhob sich und setzte eine Kanne Tee an. Der würzige Duft hatte eine sehr beruhigende Wirkung auf Beatrice. Schon immer hatte sie ihn als angenehm empfunden, auch im Flüchtlingslager, in das sie nach der Überquerung der Oder gekommen war, hatte er ihr ein Gefühl von Heimat gegeben. Für Augenblicke war es ihr dadurch möglich gewesen, sich nach Hause zu träumen, in den Rosengarten ihrer Großmutter Grace, das kleine Gewächshaus, in dem diese versuchte, exotische Blumen zu ziehen. Und in dem sie manchmal stundenlang saß und abwesend einen Frangipani-Busch betrachtete, in der Hand einen kleinen Zettel, von dem ihre Mutter immer behauptet hatte, es sei ein Horoskop.
    »Ein erbärmlicher Assam ist das, aber wir haben leider nichts anderes«, riss Deidre sie aus ihren Gedanken und stellte die Teetasse vor ihr ab. Der Farbstoff des Tees hatte die feinen Risse in der Glasur sichtbar gemacht, so dass sie sich wie dunkle Adern über das Innere der Tasse zogen.
    Assam, Darjeeling, Ceylon. Auf einmal sah sie wieder die ordentlichen Beschriftungen der Behältnisse in Großmutters Küche vor sich. Liebevoll hatte sie die Buchstaben zu Papier gebracht, sie mit einer kleinen Vignette verziert, die stilisierte Teeblätter und Blüten darstellten. Mittlerweile waren sie wohl ebenso wie das Kapitänshaus an der Ostsee, der Garten und das Gewächshaus zu Trümmern vergangen.
    Schweigend saßen die Frauen beim Tee, jede in Gedanken woanders. Deidres Blick wirkte auf einmal in der Ferne verloren, als suche sie etwas, Emmely versank in die Betrachtung Beatrices, die vorgab, diese zu ignorieren, während vor ihrem geistigen Auge das
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