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Die Scherenfrau

Die Scherenfrau

Titel: Die Scherenfrau
Autoren: Jorge Franco
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Irgendetwas in ihrer Seele wird sich schon gerührt haben, außerdem durchfuhr sie ein Schauder, als ich mit lauter Stimme und wohl überlegten Worten zu ihr sagte:
    »Die Schere ist deine Fotze, Rosario Tijeras.«
     
    »Das wars, Rosario«, fuhr ich wie gewohnt in meinem stillen Monolog fort, »es ist vorbei.« Ich vergehe danach, sie zu küssen. »Ich habs dir bereits gesagt, ich werde dich immer lieben.« Ich vergehe danach, mit ihr zu sterben, »… und ich werde dich durch alles, was mich an dich erinnert, noch mehr lieben, durch deine Musik, durch dein Viertel, durch jedes Schimpfwort, das ich höre, ja sogar mit jeder Kugel, die ich höre und die tötet.« Ich nehme ihre Hand, sie ist noch warm, ich drücke sie in der Erwartung eines Wunders. Das Wunder ihrer dunklen Augen, die mich anblicken, während ein »Kumpel, mein Kumpel« ihrem Mund entschlüpft, aber wenn es nicht geschah, als ich noch Hoffnung hatte, dass sie mich lieben würde, dann jetzt erst recht nicht. Sie hat noch immer ihre drei Heiligenbildchen. Sie haben ihr nichts genützt. »Du hast deine neun Leben verbraucht, Rosario Tijeras.«
    Wenn jemand stirbt, fragt man sich stets, wo Gott wohl gerade ist. Ich weiß weder, was ich mit all diesen Fragen, die von jetzt an auftauchen werden, noch mit der Liebe, die mir nichts gebracht hat, anfangen soll. Ich weiß auch nicht, was ich mit deinem Körper tun soll, Rosario.
    »Es tut mir Leid, aber wir brauchen diesen Raum«, sagt jemand mit kalter Stimme.
    Ich muss sie verlassen. Sie ein letztes Mal anschauen und dann verlassen. Das letzte Mal, dass ich mit ihr zusammen bin, das letzte Mal, dass ich ihre Hand ergreife, das letzte Mal, das ist es, was wehtut. Ich möchte ungern gehen, ohne sie zu küssen. Das letzte Mal, der letzte Kuss vom Letzten in der Reihe. Ich kann nicht mehr. Es ist wie immer ziemlich spät, sie bringen sie fort aus ihrer letzten Welt, transportieren sie auf ihrer Bahre ab, und sie ist noch immer wunderschön.
    »Das wars, Rosario Tijeras.«

Jorge Franco
     
    Jorge Franco, geboren 1962 in Medellín, studierte an der London International Film School und an der Pontificia Universidad Javeriana. Seine ersten beiden Bücher, ein Erzählband und ein Roman, wurden stark beachtet und mit mehreren Preisen ausgezeichnet. ›Die Scherenfrau‹ war sein großer, internationaler Durchbruch. Die erste Auflage war in Kolumbien innerhalb eines Wochenendes vergriffen. Für ›Die Scherenfrau‹ erhielt Franco das Nationale Literaturstipendium, 2000 wurde der Roman in Spanien mit dem renommierten Hammett-Krimipreis ausgezeichnet. Mittlerweile sind seine Romane auch in Frankreich, den USA und weiteren Ländern erschienen, und ›Die Scherenfrau‹ und auch sein neuster Roman, ›Paraíso Travel‹, werden in Kolumbien verfilmt.
     
    Bibliografie
     
    Maldito amor (1996); Mala noche (1997); Rosario Tijeras (1999; dt. Rosario Tijeras, 2002; Taschenbuchausgabe unter dem Titel Die Scherenfrau, 2004); Paraíso Travel (2001).

»Sex and drugs« und Wut im Bauch
     
    Von Susanna Mende
     
     
    Man stutzt vielleicht, wenn man liest, dass der Schriftsteller Jorge Franco gerne über die Liebe schreibt. Die Scherenfrau eine Liebesgeschichte? Ja, nur dass sie an einem der gewalttätigsten Orte der Welt, nämlich Medellín, spielt und die Protagonistin eine »sicaria« ist, die ihre Pistole, zusammen mit dem Lippenstift, stets griffbereit in ihrer Handtasche hat. Wie viele sie auf dem Gewissen hat? Keiner weiß es.
    Über das gesellschaftliche Phänomen des »sicario«, des Auftragskillers, am Beispiel einer Frau zu erzählen, ist kein bloßer dramaturgischer Kniff des Autors. Auch wenn die gewalttätige Welt der Drogenkartelle als machistische und rücksichtslose Männerdomäne gilt, gibt es diese Frauen tatsächlich.
    »Ich wollte mir einen genaueren Eindruck von diesen Frauen verschaffen«, erzählt der Autor, »von ihren Ängsten, von der Musik, die sie hören, wollte entdecken, was sie hinter dem Panzer aus Gewalt verstecken. Es sind junge Mädchen, die unter schwierigen Bedingungen herangewachsen sind, mit einer Last an Lebenserfahrung, die viel größer ist als bei irgendjemand sonst. Von Geburt an haben diese Frauen Gewalt und Verletzungen erfahren. Während die Männer ins Drogengeschäft einsteigen, um sich allen erdenklichen Luxus leisten zu können, tun sie es, um ihren Hass loszuwerden, um Rache zu üben, aus einer Wut heraus, die immer größer geworden ist und sie dazu bringt, zu töten.« Aus
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