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Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin
Autoren: Sandra Lüpkes
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Pferde mit einem griesgrämigen »Hüa« zum Trab aufforderte, eine junge Mutter mit einem schreienden Baby im Kinderwagen und ein Mann, der mit einer Schaufel und einem Besen die Pferdeäpfel von der Straße kratzte und sie in einen Handkarren warf, auf dem die Spatzen saßen und pickten.
    »Ich mag diese Insel«, sagte Meint unvermittelt.
    »Elke und ich waren mal vor unserer Hochzeit ein paar Tage hier. Es scheint auf den ersten Blick ein gottverlassenes Eiland zu sein, aber warte mal ab, wenn die Insulaner am Abend aus ihren Häusern kommen…«
    »Ich hasse es.«
    Meint lachte vor sich hin. Es machte sie rasend, wenn er sich über sie zu amüsieren schien. Eigentlich mochte sie ihn, auch wenn sie so viele Gemeinsamkeiten hatten wie Juist und New York City. Meint war bodenständig, sie war flatterhaft; wenn er am Feierabend zu zahnendem Töchterchen und halbtagsbeschäftigter Bilderbuchgattin nach Hause kam, dann saß sie noch in ihrem Auto auf dem Parkplatz hinter dem Polizeipräsidium, da der Motor ihres R4 mal wieder den Geist aufgegeben hatte. Er hatte immer seine Sammelmappe, sie hatte nur ein Diktiergerät, dessen Gebrauchsanweisung sie verschlampt hatte. Wenn sie an einem Tatort gewesen waren, so konnte er sich noch Tage später an jedes Einschussloch, jede Stichwunde, jeden Schädelbruch erinnern; Wencke vergaß oder verdrängte diese Details, wenn sie sich nur zum Gehen abgewandt hatte, jedoch nahm sie sofort eine Witterung auf, eine Ahnung von den Dingen, die man nicht auf Beweisfotos festhalten kann. Klar, sie ergänzten sich, sie ergaben ein Ganzes, sie verstanden sich ausgezeichnet. Und trotzdem machte es sie rasend, wenn er sich über sie zu amüsieren schien.
    Der große, etwas spießige Kurplatz lag vor ihnen wie ein leeres Stadion in der fußballfreien Zeit. Der verschlossene Musikpavillon ragte stumm über leer geräumte Blumenbeete hinweg. Man konnte sich jetzt im Oktober kaum vorstellen, dass im Sommer ältere Leute auf den Bänken saßen und den Walzerklängen eines Kurquintetts lauschten, dass barfüßige Kinder am kleinen Schiffchenteich ihre Segelboote zu Wasser ließen, dass Familien ihre Bekannten vom letzten Inselurlaub auf der gegenüberliegenden Parkseite entdeckten und quer über den Rasen rannten. Es war vielleicht ein lebendiges Fleckchen hier im Juli und August, zwar nicht die Art von Leben, an dem Wencke sich gern beteiligte, aber bestimmt tausendmal besser als diese Einöde, die einem das Gefühl gab, das Leben auf Juist sei für ein paar Monate einfach ausradiert worden.
    »Hier im Keller sind wir mal ordentlich abgefüllt worden«, erzählte Meint und zeigte mit der Hand auf einen Treppenabgang, vor dem links und rechts zwei Laternen rot und grün im Wind baumelten und über dem von Bierreklame umrahmt »Spelunke« stand.
    »Den ganzen Abend nur Udo Jürgens und Marianne Rosenberg, und alle grölen mit.«
    »Das war doch wohl im Sommer, oder?«
    »Da ist immer was los. Es ist die einzige Kneipe, die ganzjährig geöffnet hat, das danken die Insulaner mit regelmäßigem Besuch. Wollen wir rein?«
    »Es ist erst sechs Uhr.«
    »Egal, es stehen doch schon einige Fahrräder davor. Ich könnte mir vorstellen, dass die Nachricht von dem Mord auf der Insel so langsam die Runde gemacht hat. Und du weißt doch, wie manche Dorfbewohner sind. Kaum hören sie, dass einer nicht mehr unter ihnen weilt, da haben sie nichts Besseres zu tun, als…«
    »… als sich alle in der Stammkneipe zum Saufen zu treffen.«
    »Du neigst mal wieder zum Pauschalisieren, liebe Kollegin!«
    Sie hatte den schweren Türgriff schon in der Hand. Meint folgte ihr.
     
     
    Natürlich musste sie diese Arbeit nicht machen. Andere Hoteliersfrauen malten Aquarellbilder in sanften Farben und hängten sie dann zu überhöhten Preisen in der Eingangshalle auf. Sicherlich hätte Thore es auch lieber gesehen, wenn sie sich in der modernen Kunst verwirklicht hätte oder vielleicht als begnadete Pianistin Konzerte im Speisesaal geben könnte.
    Stattdessen musste er immer sagen: »Meine Frau ist Schneiderin.« Und er sagte dies stets in einem nuschelnden Ton. Schlimmer kam es noch, wenn er ins Detail gehen musste. »Nein, Hilke entwirft keine Kleider, sie näht in erster Linie fürs Hotel… Weniger Gardinendekoration, eher Änderungsarbeiten an der Hotelwäsche.« Und dann wechselte ihr Mann schnell das Thema.
    Es lag nicht an ihm, er hatte für sie bei den Umbauarbeiten vor drei Jahren einen eigenen Laden geplant, eine
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