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Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Titel: Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
Autoren: Margit Sandemo
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genug, sie konnte alles deutlich erkennen.
    Das Kind war in einen Schal aus feinster Wolle eingewickelt, der so spinnwebdünn und leicht war, dass Silje dergleichen noch nie gesehen hatte. Goldfäden waren eingewebt, und das dünne Wolltuch darunter wies ein unbeschreiblich schönes Muster auf. Französische Lilien, meinte sie, hieße es. Und zuunterst lugte eine blendend weiße Decke hervor, die hatte sie in die Milch getunkt.
    Der Mann machte einen Schritt nach vorn. Sie wich instinktiv zurück. Ihn umgab eine Aura der heidnischen Urzeit, von unbeschreiblicher Mystik und tierischer Anziehungskraft, zugleich verfügte er über eine enorme, fast majestätische Autorität.
    »Das Kind hat Blut im Gesicht«, sagte er und wischte das Blut mit einem Zipfel des Stoffes ab. »Es ist neugeboren. Bist du sicher, dass es nicht deines ist?«
    Silje war zutiefst gekränkt. »Ich bin ein anständiges Mädchen, Euer Gnaden.«
    Sein Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln, während er nervös einen Blick hinunter auf den Richtplatz warf. Noch aber waren sie nicht fertig, noch war da nur ein Geistlicher, der allem Anschein nach versuchte, den Bruder zu überreden, seine Sünden zu bekennen.
    »Wo hast du das Kind gefunden?«
    »Hier im Wald, ausgesetzt zum Sterben.«
    Er zog die schwarzen Augenbrauen hoch. »Zusammen mit der Kleinen?«, fragte er skeptisch.
    »Nein, nein, sie habe ich in der Stadt über dem toten Körper ihrer Mutter gefunden.«
    »Die Pest?«
    »Ja.«
    Er sah von ihr zum Kind. »Anscheinend hast du Mut«, sagte er langsam.
    »Vor der Pest habe ich keine Angst. Sie war viele Tage meine Begleiterin. Sie schlägt um mich her zu von mir aber will sie nichts wissen.«
    Etwas, das an ein Lächeln erinnerte, zeigte sich in seinem beängstigenden Gesicht. »Von mir auch nicht. Du gehst da hinunter, nicht wahr?«
    Sie zögerte mit der Antwort, und er fuhr fort: »Die Kinder schützen dich, deshalb wirst du nicht auch noch gefangen genommen. Sie müssen aber einen Namen haben.«
    »Oh, ich weiß nicht, ob das Kleinste ein Mädchen oder ein Junge ist. Aber ich habe es Liv oder Dag getauft. Ich habe gedacht, es ist eine Ausgeburt, und deshalb habe ich mich durch die Nottaufe geschützt.«
    »Verständlich. Und das andere?«
    Silje dachte nach. »Nachtkinder sind sie beide. Nacht, Dunkelheit und Tod umgaben sie, als ich sie fand. Ich werde sie... Sol, Sonne, nennen, glaube ich.«
    Noch einmal sah er sie aus den sonderbaren Augen an, die eher langen, leuchtenden Spalten glichen. »Du hast bestimmt mehr Gedanken im Kopf als die meisten Menschen. Willst du uns nun helfen?«
    Silje errötete über die anerkennenden Worte. Sie erwärmten sie. »Ich kann nicht bestreiten, dass ich Angst habe, Herr.«
    »Du wirst belohnt werden.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Geld hilft mir nichts. Aber...«
    »Ja?«, sagte er.
    Die Kinder gaben ihr Mut. Erhobenen Hauptes sagte sie: »In diesen Zeiten nimmt niemand umherziehendes Volk auf. Für die Kinder habe jetzt ich die Verantwortung, und ich bin durchgefroren. Ihr verschafft uns Essen, Unterkunft und Wärme, dann bin ich bereit, mein Leben für den jungen Grafen zu wagen.«
    »Dafür kann ich sorgen«, versprach er.
    »Gut! Dann gehe ich. Aber meine Kleider? Keine Gräfin trägt solche Lumpen am Leib.«
    »Daran habe ich gedacht. So hier, nimm das!«
    Unter dem Wolfspelzmantel machte er einen Umhang aus dunkelblauem Samt los. Der reichte ihm bis zur Hüfte – ihr bis auf die Füße. Sie schob die Hände durch die Schlitze.
    »So! Das verdeckt das Schlimmste. Zieh ihn fest um dich. Und nimm die Fetzen von den Schuhen!«
    Silje tat, was er ihr sagte. »Und meine Sprache?«
    »Ja«, sagte er zögernd. »Das wundert mich. Die stammt nicht gerade von armen Leuten. Vielleicht hörst du dich ja wie eine Gräfin an. Tu dein Bestes!«
    Sie holte tief Luft. »Wünscht mir Glück, Herr!«
    Er nickte grimmig.
    Dann schloss sie für einen Moment die Augen und holte tief Luft, wie um sich zu konzentrieren. Sie umfasste die Hand des Mädchens fester, und mit dem Säugling auf dem Arm und dem Tod im Herzen ging sie hinunter. Hinunter zu dem Platz, wo soeben die Hände des jungen Mannes aufs Rad gebunden wurden.
    Im Rücken spürte sie den Blick des Menschentieres. Sie hatte das Gefühl, dass seine Augen sich in sie einbrannten.
    Was für eine sonderbare, seltsame Nacht, dachte sie. Und sie hatte kaum erst begonnen.

2. Kapitel
    Als Silje den offenen Platz erreicht hatte, wurde sie schneller. Die Kleine
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