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Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich
Autoren: Marc Fischer
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ihm.
    »Hallo!«, begrüßte er mich. Und dann, an das Tier gewandt. »Dasist ein Freund, sei gut, Bernardo.« Bernardo stieß mich an und sabberte mir auf die Schuhe. Mag sein, dass es nett gemeint war, aber wenn’s so war, hatte er Probleme, mir das zu vermitteln.
    Es passt zum stets um Exzentrik bemühten Signore, dass er den allergrößten, allerunpraktischsten Hund hat, der sich denken lässt, dachte ich sofort. Einen Bernhardiner. Einen sabbernden, stinkenden, unter neunzig Kilo Fell und Fleisch schwitzenden Bernhardiner.
    Nicht in den Bergen, wo er dir wenigstens das Leben retten kann. Hier, in Berlin.
    »Und?«, fragte der Signore, als wir zu dritt in der Küche saßen, er, Bernardo und ich. Die Küche ausfüllten, muss man eher sagen.
    »Und?«, also der Signore zu mir. »Wie findest du Bernardo?«
    »Er ist groß, Signore.«
    »Ich weiß.«
    »Er ist wirklich sehr groß, Signore.«
    »Das mag ich so an ihm.«
    »Zu groß für diese Wohnung, Signore.«
    »Ich such mir grad was Neues.«
    »Verstehe. Was frisst er am Tag?«

    »Drei Dosen müssen schon sein. Er mag aber auch Liegengebliebenes. Saltimbocca und so was.«
    »Du gibst ihm Saltimbocca?«
    »Klar. Es soll ihm nicht schlechter gehen als mir.«
    »Mir gibst du nie Saltimbocca, Signore.«
    Wir redeten eine Zeit lang über das, worüber der Signore und ich so reden, wenn wir uns sehen, aber die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, als hörte mir der Signore nicht richtig zu. Immer hatte er irgendwas an diesem Tier zu schaffen. Immer streichelte er es, sprach es an oder steckte ihm irgendwas in den Mund. Der Signore brachte es fertig, das Tier zu fragen, wie es ihm ginge. Er erwartete sogar eine Antwort.
    »Und Anna?«, fragte ich nach einer Ewigkeit.
    Der Signore sah mich an, als hätte ich ihn gerade aufgeweckt.
    »Wer? Ach so – bin ich drüber weg«, sagte er. Und dann, kurz darauf: »Kommst du raus mit uns? Bernardo muss sich heute noch etwas bewegen.«
    Für den, der’s noch nicht gemerkt hat, sollte ich vielleicht genau an dieser Stelle einfügen, dass ich Hunde nicht besonders mag. Es ist nicht so, dass ich sie hasse. Sie interessieren mich nur nicht besonders. Da interessiere ich mich ja eher noch für Kinder als für Hunde. Wenn Kinder zwölf sind, kannst du dich vielleicht mit ihnen unterhalten. Mit Hunden kannst du dich nie unterhalten, und wenn sie zwölf sind, sterben sie. Dazu machen sie viel mehr Arbeit als irgendein Kind es je machen könnte. Kinder kann man abtrocknen, wenn sie aus dem Regen kommen und stinken, Hunde nicht, die riechen noch tagelang. Kinder kann man an eine Wohnung gewöhnen, Hunde nicht. Für Hunde wurden Leinen, Kombis, Gartenhaussiedlungen und Kackschaufelsets erschaffen. Hunde ketten dich noch mehr an deine Existenz als ohnehin schon.Interkontinentalflüge mit Hunden? Vergiss es. Die Engländer wissen schon, warum sie sie monatelang in Quarantäne stecken, wenn man versucht, sie ins Land zu schmuggeln.
    »Tut mir leid, Signore«, sagte ich. »Muss noch was erledigen.«
    Der Signore sah mich an, so eindringlich, wie er mich noch nie angesehen hatte.
    »Wenn du mich willst, musst du auch meinen Hund wollen«, sagte er.
    So hatte er nicht mal über Anna geredet.
    Mit den anfangs erwähnten Freunden Til, Samuel und Lothar machte ich ähnliche Erfahrungen. Anstatt sich wie früher für das Leben zu interessieren, für den Tanz und die Damenwelt, interessierten sie sich nur noch für ihre Hunde. Anstatt mit mir ins Kino zu gehen, schauten sie sich zu Hause im Bett mit den Hunden DVD s und Videos an oder hörten Musik. Ich fühlte mich eingetauscht gegen die Tölen, also begann ich, mich mit ihnen, meinen Feinden, auseinanderzusetzen. Ich begann, sie zu beobachten, zu analysieren, auf der Straße wie zu Hause, in der Hütte.
    1. Es gibt sehr große und sehr kleine Hunde.
    2. Große Hunde sind augenblicklich häufiger in Stadtgebieten anzutreffen als kleine.
    3. Kleine Hunde sind eher Accessoires als Lebewesen. Sie unterliegen den Gesetzen der Mode, es wird sie bald nicht mehr geben.
    4. Je größer der Hund, umso größer die oft vorangegangene Menschenenttäuschung.
    5. Ein Mann, der einen sehr großen Hund hat, sagt: Ich habe eine gigantische Liebes- und Leidensfähigkeit und bin bereit, fünfmal am Tag zehn Kilometer um den See zu joggen, nur damit’s dir gut geht.
    6. Eine Frau, die einen sehr großen Hund hat, sagt: Schaut her, ich habe einen sehr großen Hund!
    7. Frauen mit großen Hunden sind seltener als Männer
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