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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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wohlbehalten wieder!« Lächelnd setzte er das strampelnde Mädchen ab. »Wir haben sie auf dem brachliegenden Areal zwei Straßen weiter gefunden. Sie spielte dort.«
    Als wäre nichts gewesen, kam Wera auf Olly zugerannt.
    »Schau nur, was ich entdeckt habe: eine Schnecke in ihrem Haus. Ist die nicht furchtbar schleimig?«

3. KAPITEL
    Z wei Scheiben Braten, Kartoffeln, Gemüse, etwas Fisch und Sülze und zum Nachtisch ein Stück Schokoladenkuchen – Karl und Olly staunten nicht schlecht, wie viel ein kleines Mädchen essen konnte. Ihr guter Appetit hielt sie nicht davon ab, ausführlich und laut die Eindrücke ihres »Ausflugs« wiederzugeben: Die Häuser in Stuttgart seien doch recht ärmlich im Vergleich zu den Petersburger Prachtbauten. Und Flüsse gäbe es wohl auch nicht, und warum trugen die Menschen keine Pelze, jetzt, im Winter? Rentiere habe sie auch keine gesehen, fügte sie enttäuscht hinzu. Ob die Samojeden denn hier in der Stadt kein Winterlager unterhielten?
    Rentiere in Stuttgart? Bei ihnen gäbe es höchstens eine Menge Rindviecher!, antwortete Karl lachend.
    Satt und müde ließ sich Wera nach dem Essen anstandslos von Evelyn ins Bett bringen. Olly und Karl schauten den beiden erleichtert nach. Bei einem Glas Wein kamen sie zu dem Ergebnis, dass alles nur halb so schlimm gewesen war. Dr. Haurowitz konnte so bald wie möglich seine Sachen packen und abreisen. Dass er sie so unnötig erschreckt hatte!
    Am nächsten Morgen erwachte Olly voller Zuversicht und gut gelaunt. Ihr Blick fiel aus dem Fenster, wo Stuttgart im Glanz der Wintersonne so appetitlich wirkte wie ein frisch geschälter Apfel. Sonnenschein – ein gutes Omen für Weras ersten Tag in Stuttgart.
    Amliebsten wäre Olly noch im Nachthemd zu Wera ins Nebenzimmer gegangen, doch Evelyn hatte angeboten, sich um das Kind zu kümmern. Olly solle wie jeden Morgen bei einer ersten Tasse Tee in Ruhe zu sich kommen, hatte sie gemeint.
    Olly streckte ihre Arme in die Höhe und dehnte sich wie eine Katze. Während sie das belebende Aroma ihres Morgentees genoss, ging sie in Gedanken die Pläne für den Tag durch: Zuerst würden sie hinüber ins Schloss gehen, um Wera dem König vorzustellen. Olly graute vor diesem Besuch, aber er war unvermeidlich. Sie würde ihn so kurz wie möglich halten. Als Nächstes war ein kleiner Empfang im Kronprinzenbau geplant, bei dem Wera Karls Schwestern und deren Kinder kennenlernen sollte. Olly hatte den Koch angewiesen, hierfür schwäbische und russische Spezialitäten zuzubereiten. Bei Blinis und Maultaschen würden die anfänglichen Hemmungen sicher bald verlorengehen. Hoffentlich machten es Marie und Katharina der Kleinen nicht allzu schwer. Und hoffentlich bekam Wera nicht ausgerechnet bei diesem ersten Treffen einen »Anfall«. Olly hatte zwar noch immer keine Ahnung, was Dr. Haurowitz damit meinte, aber sie wollte es auch nicht unbedingt heute herausfinden.
    Ihr Tee war nur noch lauwarm, und auf seiner Oberfläche hatte sich eine Haut gebildet. Olly stellte die Tasse fort. Wenn nur Fürst Gortschakow noch hier wäre!, dachte sie nicht zum ersten Mal. Obwohl Sascha den ehemaligen russischen Gesandten schon vor Jahren nach Russland zurückbeordert hatte – Fürst Gortschakow war inzwischen zum Außenminister und Kanzler von Russland aufgestiegen –, vermisste Olly ihren alten Freund und Ratgeber noch immer. Er war es gewesen, der ihr in ihrer Anfangszeit in Stuttgart geholfen hatte, so manche diplomatische Hürde zu nehmen. Wann immer die Lasten auf ihren Schultern sie zu erdrücken drohten, hatte er ihr neuen Mut zugesprochen. Er und Eve.
    Was hätte der alte Fürst ihr für den heutigen Tag geraten? Hätte er lachend gemeint, sie würde sich unnötige Sorgen machen? Hätte er seinen Lieblingsspruch, »Vergessen Sie nicht, dass Sie eine russische Großfürstin sind«, wiederholt? Seit jeher war Gortschakow nämlichder Ansicht gewesen, dass sich sämtliche Probleme in Luft auflösten, solange Olly nur recht herrschaftlich auftrat. Kopf hoch, Kinn nach vorn, der Blick geradeaus. Dass ihr dieses Auftreten den Ruf eingebracht hatte, unnahbar und arrogant zu sein, hatte Fürst Gortschakow nicht bedacht.
    Unnahbar und arrogant! Olly lächelte traurig. Was wussten die Menschen schon? Manchmal half es eben, sich die eigene Angst und Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, sondern so zu tun, als wäre man über alles erhaben. Mit Schwung setzte Olly beide Beine auf den Boden. Sie würde sich auch heute zu
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