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Die russische Herzogin

Titel: Die russische Herzogin
Autoren: Petra Durst-Benning
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Ihr Patenkind aufnehmen wollen, ist wirklich löblich«, sagte er. »Dennoch bin ich mir nicht sicher, ob Liebe allein ausreicht, um Wera zu helfen. Verzeihen Sie meine Offenheit, aber meiner Ansicht nach wäre das Kind in einer Anstalt mit ausgebildeten Ärzten und kräftigen Betreuern besser aufgehoben.« Er schüttelte betrübt den Kopf. »Diese ewigen Anfälle. Die Wutausbrüche. An manchen Tagen ist kein Durchdringen zu ihr möglich. Glauben Sie mir, nach dieser Reise weiß ich, wovon ich spreche.«
    »Eine Anstalt? Kräftige Betreuer?« Konsterniert schaute Karl zwischen Olly und dem Arzt hin und her. »Wovon sprechen Sie, Mann? Olly, weißt du etwa mehr?«
    »Was für eine Anstalt?«, fragte Olly mit hohler Stimme.
    Der Arzt rieb über seinen Bart. »Nun ja … Sie wissen schon.« Er zuckte mit den Schultern. »Eine Anstalt für … spezielle Kinder.«
    »Ein Irrenhaus?« Olly sprang so ruckartig auf, dass sie mit dem rechten Knie beinahe das Tablett mit dem Weinbrand umstieß. »Sie halten Wera für schwachsinnig? Wie können Sie es wagen, so von meinem Patenkind zu sprechen!«
    »Ich weiß, allein der Gedanke an eine Unterbringung in solch einem Heim ist peinlich. Und dann auch noch die Nichte des Zaren …«, antwortete Dr. Haurowitz. Als Leibarzt des Großfürsten hatte er seit jeher auch unbequeme Wahrheiten von sich geben müssen. Er hatte sich längst abgewöhnt, sich von jedem bösen Blick, der ihn traf, einschüchtern zu lassen.
    »Glauben Sie mir: Weras Eltern haben im letzten Jahr wirklich alles versucht. Ein halbes Dutzend meiner Kollegen wurden konsultiert, zahlreiche Untersuchungen mit dem Kind angestellt. Doch alle kamen sie zum selben Schluss. Deshalb war ich erstaunt, als ich hörte, dass die Kleine dennoch zu ihrer Tante nach Hannover sollte. Wie kann eine Frau, die einen blinden Ehemann zu versorgen hat, sich auch noch um ein geisteskrankes Kind kümmern?, wollte ich von Großfürst Konstantin wissen. Dann kam die Absageaus Hannover, und ich versuchte erneut, auf eine Einweisung in ein Heim hinzuwirken. Doch da war schon der Gedanke geboren, sie hierher zu schicken.« Er machte mit seiner rechten Hand eine ausholende Bewegung, die den Kronprinzenpalast einschloss. »Als Ihr Bruder mich bat, Wera auf dieser Reise zu begleiten, willigte ich ein, denn auch mir war klar, dass nach dem Vorfall während König Georgs Besuch in St. Petersburg etwas geschehen musste. Aber kaum sind wir angekommen, geht der Ärger schon weiter! Was meine Ansichten nur bestätigt.« Er nahm sein Glas Weinbrand und leerte es in einem Zug.
    »Kosty wollte Wera zu Marie nach Hannover geben? Davon stand nichts in Saschas Brief …« Olly blinzelte verständnislos. Ihr Bruder hatte sie angelogen. Zumindest hatte er ihr nicht alles gesagt. Sie wusste nicht, ob sie traurig oder wütend sein sollte. Ein Umstand, der nicht neu war – ihre Gefühle für Sascha waren seit langer Zeit gemischter Art. Bilder, wie Sascha gemeinsam mit seiner blutjungen Geliebten Katharina Dolguruki und seiner lungenkranken Frau Cerise unter einem Dach hauste, schlichen sich in Ollys Kopf. In St. Petersburg und am Hof sprach man von einem Skandal. Olly nannte es schlicht eine Tragödie. Sie verstand einfach nicht, wie Sascha Cerise das antun konnte. Glaubte er, nur weil er Zar war, sich alles erlauben zu können? Hatte er ihr auch deswegen nicht die ganze Wahrheit Wera betreffend gesagt? Was war eigentlich die Wahrheit? Bisher kannten sie nichts als das Gerede eines alten Mannes.
    Dieselbe Frage schienen sich auch Karl und Evelyn zu stellen, denn im selben Atemzug hoben sie zu sprechen an.
    »Was war denn eigentlich los, während –«
    »Was hat Wera angestellt, als König Georg –«
    Dr. Haurowitz’ Auflachen entbehrte jeglicher Fröhlichkeit. »Sie wollen es wirklich wissen?« Mit hochgezogenen Brauen schaute er in die Runde. »Es war schauerlich. Als die Eltern mit König Georg das Kinderzimmer aufsuchten, um Olgata vorzustellen, fanden sie ihre Tochter nackt an einen Stuhl gefesselt. Ihr Körper war über und über mit Erdbeermarmelade beschmiert, diese sollte Blut darstellen.Wera und ihr Bruder Nikolai tanzten mit hölzernen Schwertern in der Hand um die weinende Gefangene herum. Während die Großfürstin mit einer Ohnmacht kämpfte, erbat der Großfürst eine Erklärung. Lachend erklärte Wera, sie seien Attentäter und Olga ihr Opfer. Je mehr Blut flösse, desto besser wäre es.« Der Arzt schaute in die Runde. »Sie müssen mir
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