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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart
Autoren: Roddy Doyle
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Ich hatte mir nie eingebildet, dass sie aus dem Haus rauskommen würden, um nachzusehen, wer der Mann war, der da aus dem Taxi stieg. Ich hatte mir nie eingebildet, dass ich sehen würde, wie meine Frau oder Tochter über den Blumenkasten weg aus dem Fenster gucken würde, während ich zur Tür ging. Mein Sohn würde nicht ein Schuppendach reparieren oder auf dem Hof einen Windhund kastrieren. Sie waren gestorben. Irgendwo. Vor Jahren schon.
    Ich war gekommen, um die Hauswand zu sehen, vielleicht anzufassen, ein Stück Putz abzubrechen, es in den Mund zu nehmen und zu schmecken. Aber die Wand zu sehen hätte mir schon gereicht. Das Fundament im Gras zu finden, es mit der Sohle meines heilen Fußes zu spüren.
    Als Beweis.
    Ich hatte vor dem Haus gesessen. Ich hatte die Hand meiner frischgebackenen Ehefrau gehalten. Damit hätte ich anfangen und mich von da vorarbeiten können bis zu dem alten Mann, der vor der eingestürzten Hauswand stand oder im Gras hockte und Putzbrocken aufhob. Das war ich, dieser alte Mann, um den zu finden war ich hergekommen. Ich war erst neunundvierzig, aber nicht viele hätten mir das geglaubt. Ich war mir ja selber nicht sicher, was ich glaubte – wenn ich überhaupt was glaubte. Die Wand hätte mir dabei geholfen.
    Ich setzte mich neben das Gatter.
    Ich war in diesem County jeden Feldweg mit dem Fahrrad abgefahren, Zoll für Zoll. Ich hatte aus den meisten Gräben Bomben geworfen. Kugeln hatten mich gebremst, aber nichts hatte mich vor dreißig Jahren je wirklich aufgehalten. Ich guckte mir meine Hand an, die gelb und verknöchert war. Die mal Gewehre und Frauen gehalten hatte. Ich machte eine Faust und spürte nichts.
    Früher hatte man auf mich gehört. Meine Augen hatten getötet.
    Es gab keine weiße Hauswand.
    Ich war mal ein Mann namens Henry Smart gewesen. Geboren 1901 in Dublin, Kämpfer für die Freiheit Irlands. Ich hatte eine schöne Frau geheiratet, und zusammen hatten wir versucht Irland zu retten. Ein Kind, ein Mädchen namens Saoirse, war zur Welt gekommen, während ich mich verstecken musste. Ich war ins Exil gegangen, als meine Kameraden meinten mich umbringen zu müssen. Meine Frau war ins Gefängnis gekommen. Ich ging allein nach England, dann nach Amerika, mit einem falschen Pass und einem Hochzeitsfoto. Ich versteckte mich wieder. Jahrelang. Ich wechselte meinen Namen und die Städte. In Chicago fand ich meine Frau wieder – sie fand mich –, als ich dort mit Louis Armstrong in ein Haus eingestiegen war. Aber ich musste wieder fliehen. Meine alten Kameraden – einer, der vielleicht Kellet hieß – hatten mich eingeholt. Sie stellten mich an eine Wand. Aber meine Frau erschoss die Männer, die mich erschießen wollten. Ich musste wieder weg, und diesmal flüchteten wir zusammen. Ich hatte eine Familie, und die Familie wuchs. Wir bekamen einen Sohn, den wir Séamus Louis nannten, für mich hieß er Rifle. Wir waren in den Jahren der Depression in den Güterwagen unterwegs. Wir blieben nie lange an einem Fleck. Wir waren wieder Rebellen, und wir waren glücklich. Aber ich verlor sie. Wir sprangen auf einen fahrenden Zug. Rifle rutschte ab, ich bekam ihn zu fassen, rettete ihn und stürzte. Der Zug fuhr weiter, nahm meine Familie mit und riss mein Bein ab. Ich erholte mich. Ich lernte das Gehen mit einem Holzbein. Aber ich fand sie nie. Ich suchte jahrelang. Ich hörte Geschichten über sie, und ich folgte den Geschichten. Die Geschichten verstummten, und ich hörte auf zu suchen. Ich schleppte mich zum Sterben in die Wüste. Ich legte mich hin und ließ mich von der Sonne zu einem Nichts verbrennen. Ich starb. Ich kam von den Toten zurück, als Henry Fonda auf mich pinkelte. Er spielte in einem Film mit, der
My Darling Clementine
hieß, und war zwischen zwei Takes rausgegangen, um seine Blase zu erleichtern. Ich wurde ins Leben zurückgeholt und lernte John Ford kennen, den Regisseur des Films.
    Das war vor fünf Jahren gewesen, 1946.
    Ford kannte mich – keine Ahnung woher. Er wusste genau über mich Bescheid. Er kannte meine Narben und wusste, wie ich sie gekriegt hatte. Er sah durch die Dunkelheit zu mir hin.
    – Du bist die Story, hatte er gesagt.
    Er wollte mein Leben verfilmen. Deshalb war ich jetzt in Irland und saß vor der Hauswand. Ich erinnerte mich daran wie an einen rasch aufschießenden Schmerz, an die Wut, die mein wahres Blut war. Ich erinnerte mich an die Entscheidung: Ich würde nach Hause fahren und meine Geschichte erzählen. Ich war ein alter
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