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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart
Autoren: Roddy Doyle
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Mann – die Kugeln und der Kummer hatten mich fertiggemacht –, aber ich fühlte mich frisch und froh. Wir schüttelten uns die Hand. Auch Ford war ein alter Mann, er verstand mich. Ich sah an diesem Abend zu dem blauschwarzen Himmel hoch, zu all den toten und wandernden Sternen und schrie:
    – Ich heiße Henry Smart!
    Jetzt aber stand ich auf und kehrte der Wand den Rücken. Ich wusste, wohin ich wollte, und ich wusste, was ich tun würde.
    Ich würde John Ford umbringen.

2 | Ich staunte über die Töne.
    – Dass ihr so was machen könnt, hab ich nicht gewusst, sagte ich.
    – Machen? Was denn? fragte Ford.
    – Die Stimmen, sagte ich. – Die Musik und all das.
    Da kannte ich ihn gerade ein Vierteljahr. Wir waren nicht mehr in der Wüste, sondern irgendwo in Los Angeles, in einem dunklen Raum. Hinter unseren Köpfen surrte ein Filmprojektor, und wir guckten einen seiner alten Streifen,
The Informer
.
    – Das darf ja nicht wahr sein, sagte er. – Wie hieß denn der letzte Film, den du gesehen hast?
    –
The Goucho
, sagte ich.
    Den hatte ich mit meiner Tochter in Oak Park gesehen, kurz nachdem ihre Mutter mich gefunden hatte.
    Er sah mich groß an. Er musste schreien, der Projektor stand direkt hinter ihm.
    – Das muss 1927, 1928 gewesen sein. Hat er dir gefallen?
    – Yeah.
    – Hast du damals auch Filme von mir gesehen?
    – Weiß nicht, sagte ich. – Hat da dieser Douglas Fairbanks mitgespielt?
    – Nein.
    – Dann eher nicht.
    –
The Iron Horse
, sagte er. – Das war einer von mir.
    – Nein.
    – Den hast du nicht gesehen?
    – Nein, sagte ich. – Kann mich jedenfalls nicht erinnern.
    – Fairbanks ist tot, sagte er. – Man nennt sie Talkies.
    – Wen?
    – Filme mit Ton. Das Schlimmste, was der Filmindustrie je passieren konnte – Scheißtonfilme. Schau hin.
    Es sollte Dublin im Jahr 1920 sein. Gypo, ein trotteliger Typ, war aus der Organisation – wohl aus der IRA – geflogen. Der Grund war mir nicht klar. Er verpfiff seinen Kumpel Frankie für zwanzig Pfund und versoff das Geld, viel mehr passierte nicht, bis sie ihn schnappten. Es war Dublin, aber viele Erinnerungen rief es bei mir nicht wach. Weder die Schauplätze noch der Zungenschlag waren echt, und manches war nur albern. Am Anfang gab es eine Rückblende, in der Gypo und Frankie, alte Genossen und Kumpel, singend und saufend mit dem Gewehr über der Schulter an einer Theke stehen. Den ganzen Film über hatten die Trenchcoat-Typen Angst, dass der Spitzel sie verraten würde, aber wenn sie losgingen, um einen zu heben, nahmen sie ihre Gewehre mit. Es waren jede Menge Sachen drin, die völlig unsinnig waren.
    Aber die Handlung zog mich rein, ich konnte sie nachvollziehen. Gypos Freundin erinnerte mich an Piano-Annie, die mich aufgenommen hatte, nachdem ich 1916 aus den Richmond Barracks geflohen war. Sie sah nicht aus wie Annie, aber das eine oder andere stimmte. Sie sprach nicht wie Annie, aber als sie auf einem Plakat in einem Schaufenster las
Für 10 Pfund nach Amerika
, guckte sie wie Annie. Ich hätte am liebsten durch die Lichtbahn des Projektors gegriffen und sie in den Arm genommen. Ich hätte nicht wie Gypo das Geld verjuxt, das hätte ich ihr auch gesagt. Ich hätte ihr die Fahrkarte nach Amerika besorgt.
    Wenn die Trenchcoat-Typen den Mund aufmachten, waren sie total unecht, aber die Gesichter im Schatten um sie herum mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Angst – die fand ich gut. Der Nebel gefiel mir und der Blinde, der aus dem Dunst getappt kam. Immer wieder sagte ich zu Gypo, er solle sein Geld in der Tasche lassen, solle weniger saufen, sich und Annie in Sicherheit bringen. Aber es war schon toll, wie er alles durchbrachte, ständig Runden für alle schmiss und Kartoffelchips kaufte und eine Spur hinterließ, die ihn 1920 in Dublin innerhalb von fünf Minuten das Leben gekostet hätte. Ich mochte sein Gesicht, und dann war da seine Frage, diese Hammerfrage –
Gibt es hier keinen, der mir sagen kann, warum ich es getan habe?
–, die so real war, dass ich dachte, ich hätte sie selber gestellt. Ich mochte sein Lächeln und seine Grimassen und wie er verzweifelt versuchte, keinen Mist zu bauen. Und ich mochte die Art, wie er starb, wie er sich mit den Kugeln im Leib über die Straße und in die Kirche schleppte zu Frankies Ma –
Frankie, Frankie, deine Mutter vergibt dir! –
Donnerwetter noch mal. Er breitete die Arme aus, wie der am Kreuz, und fiel tot um. Ich wusste, dass Schluss war, und hoffte trotzdem, er würde
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