Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition)
Autoren: Sandra Lessmann
Vom Netzwerk:
»Allein die anmutige Art, wie sie sich bewegt, und die stolze Haltung. Und ich dachte immer, Ihr seid für die Reize der Frauen nicht empfänglich.«
    »Alan, Ihr beobachtet zwar sehr genau, aber leider missdeutet Ihr, was Ihr seht«, belehrte Jeremy seinen alten Kameraden.
    »Und Ihr seid ein größerer Narr, als ich dachte, wenn Ihr ein so verführerisches Weib verschmäht«, gab Alan zurück.
    Er blickte prüfend in das verschlossene Gesicht seines Freundes und seufzte. Er hatte es noch nie verstanden, darin zu lesen. Es war ein langes, schmales Gesicht mit einer hohen, gewölbten Stirn, tief liegenden Augen, die stets vor Lebendigkeit sprühten, und stark modellierten Wangenknochen. Die Nase erinnerte an den Schnabel eines Raubvogels. Zu beiden Seiten der Nasenflügel zog sich eine Falte bis zu den schmalen Lippen. Darunter sprang ein markantes, spitzes Kinn hervor. Jeremys Körper war ebenso hager wie sein Gesicht. Alan war überzeugt, dass er noch immer so asketisch lebte wie früher. Bis auf die Fächer kleiner Fältchen in seinen Augenwinkeln erschien er fast unverändert. Auch sein glattes, dunkelbraunes Haar, das er wie die meisten Männer lang bis auf die Schultern trug, wies kaum graue Fäden auf.
    »Erinnert Ihr Euch noch an den Tag, als wir uns das letzte Mal sahen?«, fragte Alan ein wenig schwermütig, denn die Erinnerung an den Bürgerkrieg, unter dem damals ganz England gelitten hatte, weckte starke Gefühle in ihm. Die Hinrichtung König Charles’ I. nach einem vom Parlament veranstalteten Schauprozess hatte ihrer aller Leben in den Grundfesten erschüttert. Der Sohn des Märtyrerkönigs, der jetzige Charles II., hatte 1651 einen letzten verzweifelten Versuch unternommen, mit Hilfe der Schotten den Thron zurückzuerobern. Vor der Stadt Worcester war sein erschöpftes Heer auf die Truppen Cromwells getroffen und vernichtend geschlagen worden.
    »Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass Ihr die Schlacht überlebt haben könntet«, bekannte Alan. »Als man mich gefangen nahm, fragte ich jeden meiner Leidensgenossen nach Euch, aber niemand wusste etwas. Wir wurden nach Chester gebracht und dort einige Wochen im Kerker festgehalten.
    Schließlich gelang es mir, einen Geleitbrief nach London zu bekommen und hier bei Richard Wiseman zu arbeiten. Zwei Jahre später wurde ich in die Gilde der Barbiere und Wundärzte aufgenommen. Seitdem geht es mir so gut, wie ich es mir nur wünschen kann. Aber nun erzählt endlich, wie Ihr es geschafft habt, aus Worcester zu entkommen.«
    Jeremy probierte einen Schluck von der heißen Schokolade, die sie als Morgentrunk zu sich nahmen.
    »Ich hatte großes Glück. Ein Soldat, der gerade seine Muskete abgefeuert hatte, schlug mich mit dem Kolben nieder und ließ mich liegen. Ich erwachte mitten in der Nacht unter einem Berg von Leichen. Als ich mich davonschleichen wollte, traf ich auf einen sterbenden Offizier, der mich bat, seiner kleinen Tochter ein Medaillon zu bringen, das er bei sich trug. Ich tat ihm gerne den Gefallen, denn er war Katholik wie ich. Das Mädchen befand sich in der Obhut eines katholischen Gentleman. Zu dem Zeitpunkt, als ich in dessen Haus eintraf, hielt er dort den König versteckt, der nach der Schlacht aus Worcester geflohen war. Cromwells Soldaten suchten überall nach ihm, und man hätte Charles ebenso den Kopf abgeschlagen wie seinem Vater, wenn man ihn gefunden hätte. Es war sein Glück, dass er im Haus eines Katholiken Unterschlupf fand, das über geheime Priesterverstecke verfügte. Sie waren so geschickt angelegt, dass sie auch bei einer gründlichen Haussuchung nicht entdeckt werden konnten. So erfuhr der König am eigenen Leib, wie es unseren Geistlichen ergangen war, als man sie zur Zeit seines Großvaters James wie wilde Tiere jagte.«
    »Ihr habt mit dem König gesprochen?«, fragte Alan erstaunt.
    »Ja, und ich habe ihn als Mensch schätzen gelernt. Er hat während seiner Flucht Einblick in die Lebensweise der einfachen Leute erhalten. Er hat Hunger und Entbehrung erfahren und im Angesicht der Gefahr heldenhaften Mut bewiesen. Die besten Voraussetzungen, um ein guter König zu werden.«
    »Wie ist es Euch gelungen, England zu verlassen? Die Armee hielt doch sicher alle Häfen besetzt.«
    »Es war tatsächlich nicht einfach«, gab Jeremy zu. »Zumal ich mich bereit erklärt hatte, das Mädchen, das nach dem Tod ihres Vaters Waise geworden war, zur Familie ihrer Mutter nach Frankreich zu bringen. Ich versuchte es erst von Bristol
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher