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Die Rettung

Titel: Die Rettung
Autoren: Julianne Lee
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die Matratze, wo sie in seinem Traum eben noch gelegen hatte. Noch immer hoffte er unbewusst, gleich würde sich die Tür öffnen und sie ins Zimmer treten. Aber Cait war tot, schon seit sieben Monaten tot. Im Juli war sie vergewaltigt und dann ermordet worden. Er hatte sie auf dem Tisch im Nachbarraum gefunden, mit einem Bajonett in der Kehle. Zwar hatte man die hölzerne Tischplatte inzwischen längst von ihrem Blut gesäubert, doch die tiefe, von der Bajonettspitze verursachte Kerbe war auch mit Unmengen von Sand nicht wegzuscheuern gewesen.
    Dylan setzte sich im Dunkeln auf und rieb sich über das Gesicht, um völlig wach zu werden. Er wusste, dass es bereits dämmerte, obwohl es kein Fenster im Raum gab und die Vögel draußen im winterlichen Tal noch nicht zu zwitschern begonnen halten. Auch die Hühner, die er im Hof hielt, würden wohl noch eine Weile zwischen den Büschen neben dem Schafpferch kauern. Trotzdem wusste er, dass es Zeit zum Aufstehen war. Es gehörte nicht zu seinen Gewohnheiten, nach dem Erwachen noch müßig im Bett liegen zu bleiben, denn selbst im Februar gab es auf dem Hof mehr Arbeit, als ein Mann mit zwei kleinen Kindern bewältigen konnte. Die Arbeit war seine Rettimg, sie hielt ihn davon ab, ständig seinen trüben Gedanken nachzuhängen und mit seinem Schicksal zu hadern.
    Nachdem er tief Luft geholt hatte, wurde ihm ein wenig leichter ums Herz. Er hasste diesen Traum; hasste es, zu erwachen und festzustellen, dass alles nur ein Traum gewesen war, denn diese Erkenntnis verdunkelte ihm den Tag. Seine Hand schloss sich um den goldenen Ring, den er zusammen mit seinem Kruzifix an einer Kordel um den Hals trug. Caits Ehering. Wie ein Talisman schien auch er eine heilende Kraft auszustrahlen. Dann schlang er seine Wolldecke um sich und stieg aus dem Bett.
    Unter der anderen Decke tastete er nach dem Leinen-säckchen, das einen glatten Stein von der Größe eines Schuhs enthielt. Auch im Bett seines Sohnes, unter der Decke aus zusammengenähten Hasenfellen, lag ein solcher Stein, und einen dritten holte er aus dem unteren Bett, in dem seine kleine Tochter schlief.
    Seine Gelenke waren steif vor Kälte und schmerzten. Er war jetzt fünfunddreißig, wurde bald sechsunddreißig, und die Winternächte setzten ihm härter zu als früher. In den ersten Jahren nach seiner Ankunft aus dem 20. Jahrhundert war er gut mit der nördlichen Kälte zurechtgekommen, aber nun machten sich kleinere Beschwerden sowie seine zahlreichen Verletzungen -Wunden und Knochenbrüche, die er im Lauf der Jahre davongetragen hatte - unangenehm bemerkbar, sodass er das linke Bein schonte, als er sich im Dimkein zur Schlafzimmertür tastete. Er stieß sie auf und trat in den Wohnraum. Seine beiden Collies -eine weiße Hündin namens Doirinn und ein lebhafter, halb aus-gewachsener schwarzer Welpe, den er Fionn getauft hatte - erhoben sich von ihrem Schlafplatz vor seinem Bett und trotteten hinter ihm her.
    Der Wohnraum war fast so dunkel wie die Schlafkammer, doch die schwache rote Glut der Kohle wies ihm den Weg zur Feuerstelle, wo er die drei Steine aus ihren Säcken schüttelte und in die Asche fallen ließ. Bevor sie am Abend zu Bett gingen, würden die aufgeheizten Steine wieder unter die Decken geschoben werden, um ihm und seiner Familie während der langen, kalten Winternächte die Füße zu wärmen.
    Dylan kniete sich vor dem Kamin auf den mit Binsen und Farn bedeckten Boden, legte etwas Zunder auf die Glut, schob ein pechgetränktes Binsenlicht zwischen die Kohlen und ließ sich darin auf alle viere nieder, um sacht in die Glut zu blasen. Fionn kam interessiert näher, schnupperte und schob Dylan die Schnauze ins Gesicht. »Geh!« Dylan schnippte mit den Fingern und deutete zur Tür. Fionn, der sich noch in der Ausbildung zum Hütehund befand, gehorchte bereitwillig, lief zu Doirinn hinüber und legte sich neben sie. Dylan widmete sich wieder dem Feuer. Das Binsenlicht brannte jetzt, also blies er kräftig darauf, damit auch das Holz Feuer fing. Dann legte er zwei Ballen getrockneten Torf auf die Flammen. Der Torf spendete zwar auch nur ein dämmriges Licht, aber die Hitze, die er abgab, reichte aus, um es Sarah, die bald eintreffen würde, zu ermöglichen, das Frühstück zuzubereiten. Dylan entzündete eine Kerze und steckte sie in den eisernen Leuchter neben dem Kamin. Dann erhob er sich, weil seine Blase zwickte.
    Obwohl er seit mehreren Jahren in diesem Jahrhundert lebte, konnte er seine Herkunft aus dem
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