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Die Rettung

Titel: Die Rettung
Autoren: Julianne Lee
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Tennessee des 20. Jahrhunderts in vieler Hinsicht nicht verleugnen. In seinem Haus wurde der Nachttopf nicht wie in Glen Ciorram üblich im Schlafzimmer aufbewahrt. Cait hatte ihn zwar ausgelacht und für überempfindlich erklärt, aber dennoch hatte er beharrlich auf einem gewissen Maß an Privatsphäre bestanden. Daher stand der mit einem Deckel verschlossene Topf hinter einem Vorhang in einer Ecke der Wohnstube auf einem Stuhl.
    Vorsichtig tastete er sich an den Werkzeugen und Haus-haltsgeräten vorbei, die an der Holzwand des Viehstalls hingen, und machte einen Bogen um das Malzfass, auf dem die Fee Sinann, die im Moment für ihn unsichtbar war, zusammengerollt schlief. In seinem früheren Leben hatte er nie so viel Hausrat angehäuft; er hatte ein großes, nur spärlich möbliertes Apartment bewohnt. Aber hier war Werkzeug kostbar, es sicherte das tägliche Überleben und wurde daher vor Wind und Wetter sorgfältig geschützt. Da der Platz im Inneren der Häuser beschränkt war, mussten die Bewohner also notgedrungen recht beengt leben. Schläfrig lehnte er sich gegen die übereinander gestapelten Säcke mit Saatgut, während er den Topf benutzte, dann ließ er den Saum seines Hemdes fallen und stellte den Topf auf den Boden, da seine Kinder bald aufwachen würden.
    Sile war jetzt fast zwei, lernte gerade, alleine auf den Topf zu gehen und strahlte jedes Mal, wenn ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt waren. Dylan schmunzelte immer, wenn sie hinterher vor Wonne krähte oder begeistert in die Hände klatschte. Für Ciaran mit seinen vier Jahren war das Benutzen des Nachttopfes längst eine Selbstverständlichkeit, aber er war noch zu klein, um den Stuhl zu erreichen. Dylan hielt es daher für sinnvoller, das hölzerne Gefäß auf den Boden zu stellen anstatt zu hoffen, die Kinder würden es vom Stuhl heben und wieder dorthin zurückbefördern, ohne den Inhalt zu verschütten.
    Allmählich wurde es wärmer im Haus, obgleich das Feuer nur mühsam gegen die eisige Außentemperatur ankämpfte. Am Tag zuvor hatte es geschneit, und nun war der Boden von einer unberührten dünnen weißen Schicht bedeckt. Dylan hoffte inständig, heute Morgen nicht noch mehr Schnee auf seinem Land vorzufinden. Er hätte seine Felder schon längst düngen sollen, um zu verhindern, dass das Erdreich gefror. Jetzt würde er den Kompost vielleicht über den Schnee verteilen müssen. Seufzend ging er in den Schlafraum zurück, um sich anzukleiden. Die Hunde erhoben sich und folgten ihm.
    Dylan zog sich das Nachthemd über den Kopf und hängte es an einen Haken. Vor Kälte fröstelnd streifte er seine beiden Hemden über, die seit zwei Monaten nicht mehr gewaschen worden waren. Ausnahmsweise schlang er seinen Gürtel um sich, ohne seinen Kilt vorher zu falten; er hatte keine Lust, sich mit den endlosen Stoffbahnen abzuplagen. Das lose Ende des Wollstoffes schlang er fest um sich, statt es wie im Sommer lose fallen zu lassen. Dann schlüpfte er in eine enge Hose, obwohl er das Kratzen der Wolle an seinen Beinen hasste, und zog zwei Paar knielange Strümpfe an, über die noch seine Gamaschen aus Schaffell kamen. In der Rechten hatte er seinen silbernen Dolch Brigid befestigt. Zum Schluss klopfte er sich den Schmutz von den Strümpfen, ehe er in seine Stiefel stieg, die noch aus dem 20. Jahrhundert stammten; knöchelhohe Wildlederstiefel mit Gummisohlen, das letzte Band zu seiner alten Heimat. Leider waren sie schon ziemlich abgetragen. Er hatte die Sohlen so oft neu befestigt, dass sie am Rand völlig ausgefranst waren, und in der Mitte hatte er sie schon fast durchgelaufen. Manchmal kam er sich vor, als würde er Mokassins tragen. Bald würde er sich zeitgenössische Schuhe zulegen und sich von Einlagen verabschieden müssen.
    Während er sich mit den Fingern das Haar aus dem Gesicht kämmte, begann er, sich wieder halbwegs wie ein Mensch zu fühlen. Aber nur halbwegs. Der Traum würde ihn für den Rest des Tages begleiten und ihm schwer auf der Seele liegen. Davon abgesehen wartete auf ihn eine Menge Arbeit, die ihn von seinem Kummer schon ablenken würde.
    Dylan schlüpfte in seinen schwarzen Wollmantel, nahm den hölzernen Eimer vom Tisch und bückte sich, um durch die niedrige Tür mit den Lederangeln ins Freie zu treten. Es wurde gerade erst hell, die eisige Luft stach in seinen Lungen, und der Wind zerrte an seinem Haar, aber zum Glück hatte es während der Nacht nicht mehr geschneit. Nachdem er ein paarmal tief durchgeatmet hatte, war
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