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Die Rettung

Titel: Die Rettung
Autoren: Julianne Lee
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sehr auf bestimmte geschichtliche Ereignisse und Persönlichkeiten zu konzentrieren und andere dafür ganz außer Acht zu lassen, daher muss ich oft einspringen, wo er versagt.«
    Barri nickte wieder, obwohl sie aus Iains seltsamem Benehmen nicht schlau wurde. »Ich habe die Geschichte vom Vater meines Mannes gehört, und der hatte sie von einem gewissen James Matheson, einem RAF-Offizier, den er im Zweiten Weltkrieg kennen gelernt hat. Er soll aus Glen Ciorram gewesen sein.«
    Ein halb wehmütiges, halb liebevolles Lächeln huschte über Iains Gesicht. »Da könnte es sich um meinen Vater gehandelt haben, James Dilean Matheson. Er war Kampfpilot. Nach dem Krieg kehrte er nach Glen Ciorram zurück. Vor fünfzehn Jahren ist er gestorben, möge Gott seiner Seele gnädig sein.«
    »Können Sie mir etwas über Black Dylan erzählen?«
    Iain blickte zur Seite und nickte. »Och, aye. Es gibt nicht viel, was ich nicht über ihn weiß. Im achtzehnten Jahrhundert war er über zwanzig Jahre lang Laird dieser Burg.«
    Barri traten die Tränen in die Augen, und sie holte tief Atem. Zwanzig Jahre! »So lange hat er gelebt?«
    »Aye. Er war über fünf ...« Er hielt kurz inne. »Sechzig. Er war über sechzig, als er starb.«
    Barri schluckte hart. Einerseits war sie froh, dass ihr Sohn so lange gelebt hatte, andererseits fiel es ihr schwer, sich endgültig damit abzufinden, dass er schon lange, lange tot war. »Hatte er Kinder?«
    Iain nickte. Zögernd sagte er: »Acht. Nein, sechs. Aye, es waren sechs. Zwei Stiefsöhne und sechs eigene Kinder, drei Söhne und drei Töchter.«
    Enkel. Sie hatte Enkel gehabt, die ihr nie vor Augen gekommen waren. Plötzlich empfand sie ein überwältigendes Gefühl des Verlustes. Ihre Kehle schnürte sich zusammen. Vielleicht war dieser Besuch doch keine so gute Idee gewesen. Sie räusperte sich. »Ist er ein direkter Vorfahre von Ihnen?«
    Iain lächelte stolz. »Allerdings. In Ciorram gibt es schon seit Jahrhunderten Mathesons. Dylan Robert Matheson war mein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßvater.« Dabei zählte er die einzelnen Generationen an den Fingern ab, damit ihm kein Fehler unterlief.
    »Black Dylan half den Menschen von Ciorram, mit den ungeheuren wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen jener Zeit fertig zu werden. Zwar konnte er sie nicht durch die gesamte Zeit der Clearances bringen, aber er betrieb hier zum Beispiel eine illegale Whiskybrennerei, den Grundstock jener Firma, die heute hier in der Gegend die Hauptstütze der Wirtschaft bildet. Er war auch der Erste, der die hiesigen Schafe mit Cheviots kreuzte, um den Wolleertrag zu steigern, und er hat seine Leute dazu gebracht, eine regelrechte Wollindustrie zu gründen, lange bevor die Bauern im Rahmen der Clearances von ihren Höfen verjagt wurden und in die Städte flüchten oder nach Amerika oder Australien auswandern mussten. Er hat also maßgeblich dazu beigetragen, dass die Bewohner von Ciorram die Zerschlagung des Clansystems überlebt haben, das über hunderte von Jahren hinweg hervorragend funktioniert hat.«
    »Das klingt, als hätte er gewusst, was auf seinen Clan zukommt.«
    Iain blinzelte, dann räusperte er sich. »Aye, als ob er es gewusst hätte.«
    Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und erzählte ihr, wie Dylan einst aus reiner Willkür von den Engländern verhaftet worden war. Mit einer verblüffenden Detailtreue - immerhin lagen zwischen ihm und dem Helden seiner Geschichten neun Generationen - schilderte er die Tage ihres Sohnes als Outlaw und als Jakobit. Er berichtete von Cait, von Sarah und von den Kindern, und als der Nachmittag verstrich und die Sonne langsam zu sinken begann, ging er zu Schlachten und Schwertkämpfen über. Dann erzählte er, wie Black Dylan seinen Leuten später geholfen hatte, der Unterdrückung durch die Engländer zu entgehen, obwohl er ein Katholik und ehemaliger Jakobit gewesen war.
    »Er war katholisch?« Als Barri ihren Sohn zuletzt gesehen hatte, war er Mitglied der methodistischen Kirche gewesen und hatte über den Katholizismus kaum Bescheid gewusst.
    Iain zögerte. Ein Anflug von Misstrauen flog über sein Gesicht. Dann erwiderte er stockend: »Aye, wir sind Katholiken.« Er wirkte, als rechne er mit einer abfälligen Bemerkimg ihrerseits. Barri fiel wieder ein, dass in diesem Land zwischen Katholiken und Protestanten viel stärkere Spannungen herrschten als in Amerika.
    Nach kurzer Überlegung meinte sie: »Es muss eine schwierige Situation für ihn gewesen sein. Für alle,
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