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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)
Autoren: Ugo Riccarelli
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sprach und bloß reglos dasaß, um mit einem verklärten Blick auf eine Stelle an der Wand zu starren.
    Leute für die Irrenanstalt, die in das Haus aus dunklen Steinen eingesperrt wurden, zum Kummer oder zur Erleichterung derjenigen, die draußen vor der hohen Umfriedungsmauer blieben und nicht genau wissen wollten, was dort drinnen vor sich ging, denn die Schande eines Menschen ohne Verstand gab schon genug Anlass zu Sorge und Trauer, da musste man nicht auch noch etwas verstehen oder seine Gedanken ernsthaft verfolgen wollen. Dafür gab es die Ärzte, Leute, die studiert hatten und wussten, wie sie Kopf und Hände gebrauchen mussten, um die sonderbaren Gedankensprünge von einem zu verstehen, der ein wurmstichiges Hirn hat.
    Und es gab die Schwestern, die Barmherzigen Töchter Christi, die dort drinnen eingeschlossen waren, genauso wie die Verrückten, für die zu sorgen sie gelobt hatten. Frauen, ebenso streng wie mildtätig, die Geschrei und Tobsuchtsanfällen die Stirn bieten konnten, wilden Veitstänzen, die sogar einen Soldaten erschreckt hätten, Frauen, die sich geduldig hinsetzten, um dem Lallen und Greinen aus schiefen Mündern zuzuhören, aus denen nicht mal zwei sinnvoll verbundene Worte hervorkamen.
    Außerdem gab es die Aufseher und die Helfer, Menschen wie Felsen, viele hatten starke Arme und Hände von der Feldarbeit, genau die richtigen Kräfte für diese viehische Plackerei. Denn das war jedem klar, hinter den Mauern waren Menschen eingeschlossen wie in Ställen, Menschen, die außer zwei Beinen, Kopf und Armen oft nichts Menschliches mehr zu haben schienen. Und auch alles andere, ihre Gedanken, Bewegungen, das Reden, sogar der Gestank machten sie Tieren ähnlicher als Menschen.
    Als Beniamino auf die Irrenanstalt zuging, war sein Gemüt darum beschwert von bösen Träumen und einer Beklemmung, die auch die Vertrautheit mit diesem Gebäude, das so nah an seinem Elternhaus lag, nie hatte zum Verschwinden bringen können.
    Kaum war er durch die Eingangstür getreten, stieg ihm ein beißender Geruch in die Nase, worauf er den Arm, den seine Mutter ihm gereicht hatte, noch heftiger drückte. Elemira hatte nämlich darauf bestanden, ihn zu dem Gespräch zu begleiten, weil es ihr herzlos erschienen war, ihren Sohn allein an diesen düsteren Ort zu schicken, damit er wegen eines Unglücks, das im Grunde die ganze Familie betraf, um Arbeit bat. Außerdem hatte sie Gelegenheit gehabt, Professor Tiziani durch seine Frau kennenzulernen, als diese eines Tages zu Ignazio gekommen war, um Stoffe umzutauschen, weil ihr die Farbe dann doch nicht gefiel. Tiziani war ein stattlicher Mann mit einem dichten Bart und vornehmer Ausstrahlung, immer perfekt gekleidet mit Jackett, Krawatte, Weste und, bei der Arbeit auf den Fluren der Anstalt, einem strahlendweißen, gestärkten Kittel.
    Als Beniamino zu ihr gekommen war, um ihr von Aidas Idee zu erzählen, hatte Elemira die Ängste, die sie in jenen Tagen vollkommen beherrschten, noch tiefer in ihr Inneres verbannt. Der schreckliche, unerwartete Tod ihres Mannes hatte ein Gefühl totaler Zerbrechlichkeit in ihr zurückgelassen, als entstammten ihre Kraft, ihre Ruhe, ihre Pläne, kurzum alles, der Energie, die sie jedesmal, wenn Ignazio über die Türschwelle schritt, ins Haus strömen fühlte.
    Jetzt erschien ihr alles amorph, vage, in Nebeln verloren wie Aidas Erinnerungen. Die Stoffballen vermischten sich mit Beniaminos Studien und die Kaninchen mit Maras Puppen. Es gab viel zu tun, sie musste aufräumen und sich um die Sachen zum Anziehen kümmern, das Eingemachte auf Flaschen füllen, bevor es schlecht wurde, und alte Kissenbezüge aus dem Lager holen. Aber vielleicht waren es gar keine Kissenbezüge. Es waren Laken, und das Eingemachte war Marmelade oder etwas ganz anderes, worüber sie jetzt aber nicht nachdenken konnte oder wollte, weil das zuviel verlangt war und sich alles um sie herum drehte, während sie doch am liebsten nur in der Küche gesessen und geweint hätte, bis Ignazio wieder zum Abendessen durch die Küchentür kam.
    Aber dann war Beniamino durch die Tür hereingekommen. Elemira hatte seinen hüftlahmen Gang gesehen, und wieder hatte sie, so laut, als säße er neben ihr, Ignazios Schreie und Flüche gehört, wenn er die Welt verwünschte und sich mit der Hand auf den Oberschenkel hieb, und wieder hatte sie gesehen, wie ihr Mann auf demselben Stuhl zusammensank, auf dem er sterben sollte, und minutenlang weinte wie ein Kind, um sich dann
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