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Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)

Titel: Die Residenz des Doktor Rattazzi: Roman (German Edition)
Autoren: Ugo Riccarelli
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seiner verwitweten Schwiegermutter, in diesem Haus gelebt hatte.
    Die Familie, von Elemiras Schreien herbeigerufen, konnte nicht mehr tun als festzustellen, dass er ohne einen Abschiedsgruß gegangen war, ohne einen Zettel mit Hinweisen, einen letzten Rat, wie die Geschäfte zu führen waren, oder irgendeiner anderen Ermahnung, die mehr gewesen wäre als dieser kurze, nutzlose Satz über das Füttern der Kaninchen.
    Dieser Mangel an Aufmerksamkeit wurde von allen als eine Art Verrat aufgefasst, unfreiwillig natürlich, doch nichtsdestoweniger ärgerlich. Vor allem Beniamino fühlte sich betrogen, weil er schon jetzt, in seinem jugendlichen Alter, allein das Gewicht all dessen würde tragen müssen, was er im Leben durchaus auf sich zu nehmen bereit war, aber doch nicht so plötzlich und ohne jede Hilfe, da seine Mutter sich in eine einsame, von Schluchzern geschüttelte Verzweiflung zurückgezogen hatte. Seine Schwester Mara war ein kaum dem Backfischalter entwachsenes Mädchen und hatte nur Flausen im Kopf, lauter Hirngespinste, aber keinen Sinn fürs Praktische, während die alte Aida, statt eine Hilfe zu sein, eher selbst Unterstützung brauchte, weil sie Namen und Dinge vergaß, so sehr hatte sie sich schon in den Nebeln des Alters verirrt.
    Darum zog Beniamino sich zurück, nachdem Ignazio auf dem Friedhof in die Grube gesenkt worden war und Verwandte, Freunde und Bekannte ihr Beileid bekundet, Worte und Umarmungen, Lächeln und Versprechen ausgeteilt hatten. Er wollte allein darüber nachdenken, was er tun konnte, um für sein eigenes Leben und seine Familie zu sorgen, die ihm beide wie Boote ohne Ruder auf einem windstillen Meer erschienen.
    Mindestens ein paar Tage lang versuchte er, etwas von den Geschäften seines Vaters zu verstehen, indem er die Aufzeichnungen und Bilanzen las, die Ignazio in Heftchen mit schwarzem Umschlag einzutragen pflegte. Die Seiten waren dicht mit einer winzigen Schrift bedeckt, unlesbar wie Hieroglyphen. Beniamino ging in den kleinen Schuppen neben dem Kaninchenstall, wo sein Vater den Karren, den Verkaufstisch und die Ware für die Märkte aufbewahrte, und versuchte sich zu erinnern, ob er irgend etwas Nützliches gelernt hatte, als er seinen Vater während der Sommerferien gelegentlich zur Arbeit begleitet hatte. Doch mehr denn je erschienen ihm in diesem Moment die Jahre des Lernens, die Schulzeit auf dem Gymnasium und dann das Universitätsstudium, das er auf Ignazios Wunsch um jeden Preis hatte absolvieren müssen, als unbrauchbarer Zierat, etwa so wie die Posamente, mit denen sein Vater zu handeln versucht hatte und die seit Jahren unverkauft auf dem Boden großer Schachteln in einer Ecke des Schuppens herumlagen.
    Obendrein hatte ausgerechnet in dem Moment, da er die Ernte seines Studiums hätte einbringen und die letzten Prüfungen ablegen sollen, um, wie es die Familie geplant hatte, den Arztberuf zu ergreifen, ein dummer Unfall seine Laufbahn unterbrochen, so dass er nun für alle Zeiten hinken würde.
    Die schönen Pläne hatten sich in einem einzigen Augenblick auf einem Fußballplatz zerschlagen, zusammen mit dem Waden- und Schienbeinknochen, die der Castellucci, als er wie ein Verrückter auf ihn zugelaufen war, um den Ball zu bekommen, ihm mit einem Tritt glatt gebrochen hatte wie zwei Grissini. An jenem Tag war Beniamino auf das Tor zugelaufen, nachdem er dribbelnd einen Gegner abgeschlagen hatte, und während er schon auf Meloni zielte, der zwischen den Pfosten kauerte, hatte er eben noch Zeit gehabt, aus dem Augenwinkel einen Schatten mit Castelluccis Zügen zu erspähen. Vielleicht hatte er es sogar für eine Einbildung gehalten, so schnell und unerwartet war der Zusammenstoß gekommen. Er hatte gespürt, wie aufgewühlte Erde ihn streifte, und hörte ein trockenes Knacken wie zersplitterndes Holz, während etwas ihn mit der Kraft eines Bullen herumriss und zu Boden zog. Unterhalb des Knies tat sein Bein so weh, dass er sich wunderte, als er aufstand und an die Stelle fasste, wo die Flammen ihn verbrannten, weil er kein Feuer sah, sondern nur sein Bein, aber so verdreht, wie er es vielleicht nur früher bei Maras Puppen gesehen hatte. Und bevor der Schmerz, der schon wie ein Schnellzug bis in sein Herz hinauffuhr, ihm die Besinnung nahm, hatte Beniamino noch Zeit gehabt, den Castellucci irgendeine Madonna verfluchen zu hören, während andere Stimmen ihm rieten, ruhig zu bleiben und nicht hinzusehen.
    Als er im Krankenhaus aufwachte, war das Kind schon in den
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