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Die Reliquie von Buchhorn

Die Reliquie von Buchhorn

Titel: Die Reliquie von Buchhorn
Autoren: Birgit Erwin / Ulrich Buchhorn
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bewusst wurde, wo er sich befand. Er verschränkte die Hände. Rodericus fragte sich, ob er das Pergament immer noch bei sich trug. »Das Siegel auf der Urkunde«, sagte Eckhard plötzlich. Er sprach leise, doch seine Stimme wurde von den Wänden zurückgeworfen und hing sekundenlang als Echo in der kalten Luft. »Es ist Fürstbischofs Salomos Siegel. Sein Tod hat mich bewogen, in Klausur zu gehen. Er hätte es nie gutgeheißen, aber das ist jetzt egal. Und nun, da ich wieder zurückkehren muss, sehe ich sein Siegel vor mir. Es ist, als ob er aus dem Grab zu mir sprechen wollte. Und nichts, was er mir zu sagen hat, ist sehr schmeichelhaft für mich.« Eckhard verzog die Lippen, aber sein Lächeln misslang.
    »Bereust du denn, Mönch geworden zu sein?«, flüsterte Rodericus scheu.
    »Nein, natürlich nicht!« Eckhard hob die Hände und betrachtete sie hilflos. »Ich bin nur sehr weit davon entfernt, ein guter Mönch zu sein.« Er legte Rodericus die Hand auf die Schulter, drückte sie kurz und ging dann eilig durch den Mittelgang hinaus.
    Es kam ihm so vor, als sei es noch kälter geworden, und als er zum Himmel blickte, sah er, dass sich in den feinen Nieselregen winzige Schneeflocken mischten. Als er stehen blieb, um die Kapuze über den Kopf zu ziehen, holte Rodericus ihn ein.
    »Vergibst du mir, Bruder?«, fragte er.
    Eckhard legte den Kopf zurück und betrachtete eine Weile den Schneeregen, der im Schein der Fackel zu tanzen schien. »Lassen wir den Abt entscheiden, wie es weitergeht.«
    Rodericus knetete seine Finger. »Warum fragst du nicht, was in der Urkunde steht?«
    Eckhard sah ihm in die Augen, die im Fackelschein des Tors fiebrig glänzten. »Weil ich dir ersparen möchte, dir weitere Lügen auszudenken.«
    »Bruder Eckhard …«
    Der presste die Hände an die Schläfen. »Oh, ich bitte dich«, sagte er ungeduldig, »auf so einen Auftrag schickt man kein halbes Kind wie dich, wenn man nicht sehr, sehr große Stücke auf es hält. Du bist weder sehr tapfer, noch weltgewandt. Aber du bist klug, wenigstens in der Sicherheit der Klostermauern. Also wird dein Abt dir auch vertraut haben. Aber du hast einen Eid geleistet. Belassen wir es dabei.«
    Betreten blickte Rodericus auf seine Sandalen. »Ja, belassen wir es dabei«, flüsterte er. »Danke.«
    Doch das letzte Wort verhallte ungehört in der Kälte. Eckhard war bereits ein paar Schritte in die Nacht gegangen, und Rodericus blieb nichts anderes übrig, als ihm mit gesenktem Kopf hinterherzuhasten.
     
    Nach dem Frühgebet sattelten sie ihre halbwegs ausgeruhten Tiere und brachen auf. Bald hatten sie die Schneegrenze überschritten, sodass sie ihr Reisetempo empfindlich drosseln mussten. Feine Flocken legten sich auf ihre Kleider, und die dichten Wolken ließen ahnen, dass das Wetter eher schlechter als besser werden würde.
    »Wir sollten uns beeilen«, bemerkte Wulfhard, doch schon nach den ersten Silben griff er sich an den Kopf.
    »Ich wusste doch, dass du nichts verträgst, du Strauchdieb«, rief Hunfried mit einem dröhnenden Lachen, das ihm einen bösen Blick des Stallmeisters eintrug.
    Eckhard schüttelte nur den Kopf. »Da vorn liegt St. Mangen«, bemerkte er leise, doch niemand achtete auf ihn. Im Morgengrauen sah er die kleine Kirche mit den angrenzenden Zellen der Inklusen auftauchen und im Flockentreiben wieder verschwinden. In Gedanken sandte er Wiborada einen stummen Gruß zu.
    Über dem weitläufigen Gebäude des Gallusklosters schienen die Wolken noch tiefer zu hängen. Alles wirkte leblos, wie in einem zu langen Winter erstarrt, nur aus dem Kamin des Spitals kräuselte sich ein dünner Rauchfaden.
    »He, Mönch, seid Ihr festgefroren?«
    Eckhards Mundwinkel krümmten sich im Versuch eines Lächelns, als er in Wulfhards spöttische braune Augen sah. »Ich dachte gerade an den Graf und die Gräfin«, seufzte er. »Ich bete, dass sie die Geburt gut übersteht.«
    Über Wulfhards Gesicht huschte ein Schatten. »Ach, das wird sie schon. Nach drei Kindern muss sie doch wissen, wie es geht. Und mehr göttlichen Beistand als hier kann sie doch gar nicht bekommen.« Er spitzte die Lippen und blies ein paar weiße Atemwolken in die Luft. »Hier hat alles angefangen.«
    »Mit deiner Lüge.« Eckhard sah nachdenklich vor sich hin. »Ich hoffe, es endet besser.«
    Er trieb sein Pferd erneut an, um Hunfried und Rodericus einzuholen, die vorausgeritten waren. Der Schnee knirschte unter den Hufen der Pferde, die feinen Kristalle glitzerten. Sie
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