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Die Reise zum Ich

Die Reise zum Ich

Titel: Die Reise zum Ich
Autoren: Claudio Naranjo
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eine gewisse Beliebigkeit in der Wahl der anzustrebenden Drogenerfahrung zuläßt, sollte er sich darüber
    klarwerden, welchen Wert diese oder jene Erfahrung für das
    Ziel seiner Psychotherapie haben könnte.
    Welcher Art sind nun diese Erfahrungen - ob »positiv« und
    »negativ« -, und was ist es, das sie angenehm oder unangenehm
    macht? Die Skala der mystischen Erfahrungen umfaßt unter
    normalen Bedingungen wie auch unter Einwirkung von Psychopharmaka generell eine Vielfalt von Zuständen, die, so meine ich, eines gemeinsam haben: Sie sind Augenblicke der
    Erkenntnis innerer Werte beziehungsweise der Begegnung mit
    ihnen.
    Das Wort »Wert« kann verschiedene Bedeutung haben. Von
    der Bezeichnung unterschiedlicher Arten von Werten abgesehen, läßt das Wort auch den Schluß zu, daß es darüber hinaus völlig verschiedene psychologische Wertungsprozesse beinhaltet. Eine dieser Wertungen möchte ich die »normative« nennen, denn hier besteht die »Wertung« in der Annahme oder Ablehnung (einer Person, einer Handlung, eines Gegenstandes
    oder Kunstwerkes und so fort) und folgt den Regeln einer
    etablierten Norm. Solch eine Ausrichtung nach der Norm, das
    heißt der Prozess des Vergleichens zwischen momentaner
    Wahrnehmung und Norm kann implizite, d. h. unbewußt vor
    sich gehen. Die Norm mag in einer »Geschmacks«norm bestehen oder in einer Normvorstellung davon, wie ein guter Mensch oder ein schönes Leben beschaffen sein sollten und so weiter.
    Bei diesem Wertungsprozess wird der »Wert« je nach der Natur früherer Erfahrung oder Konditionierung ein Denken-Fühlen-Handeln sein.
    Wenn wir den Geschmack eines Apfels genießen oder einen
    Atemzug frischer Luft oder ein echtes Schönheitserlebnis oder
    Liebe oder mystische Verzückung empfinden, wird deren
    »Wert« nicht aus dem Vergleich mit einer Norm bezogen, er
    beruht vielmehr auf der Entdeckung von etwas, das nur aus
    dem Augenblick zu leben scheint, das einem zuvor unbekannt
    gewesen sein mag. Außerdem rühren sämtliche Normen letztlich aus einem solchen spontanen Werterlebnis her, und aus einer Zeit, da noch keinerlei Norm existierte: »Und Gott sah,
    daß es gut war.«
    Die Mannigfaltigkeit der Erfahrungen innerer Werte kann in
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    eine Gradskala gegliedert werden, die sich von der Ebene einfachster Sinnenfreude bis zur allumfassenden Ebene mystischer Verzückung erstrecken. Die erste ist die des reinen Genusses,
    der von dem von uns üblicherweise als angenehm empfundenen
    Erleben differenziert werden muß. Denn er besteht weniger in
    der Entdeckung innerer Wertigkeit als in der Erlösung von
    äußersten Spannungszuständen (wie das Erleiden von Durst,
    Hunger usw.). Die Freude an Sinneseindrücken hingegen ist
    nicht an Bedürfnis- oder Trieberfüllung gebunden, vielmehr
    wird sie wie alle inneren Werte als etwas einem »Objekt«
    anhaftendes (Farbe, Geschmack, Klang und so weiter) erlebt
    und als Bereicherung empfunden. Sie kann als elementare
    Form der Liebe aufgefaßt werden, da sie eine Wertschätzung
    beinhaltet, ein Ja-Sagen zur Wirklichkeit bis ins geringste Detail, zu ihrem Gewebe oder ihrer Stofflichkeit, und weniger zu den aus ihrer Stofflichkeit bestehenden spezifischen Formen
    und Lebewesen. Hier geht es um jene Qualität, die leopold
    stokowski [berühmter engl.-poln. Dirigent u. Komponist in
    den USA A.d.U.] im Bereich des Klanges als »Körper« - im
    Gegensatz zur »Seele« - bezeichnete, und die ihre eigene
    Schönheit
    besitzt,
    ähnlich
    wie
    die
    eines
    menschlichen
    Körpers.
    Doch die Seele der Kunst liegt im Bereich des eigentlich Schönen, das sich vom Angenehmen nicht nur in der Qualität, sondern in seinem Gegenstand unterscheidet. Während der
    Genuß des Angenehmen schon auf einzelnen Sinneseindrük-
    ken beruhen kann, ist es beim Schönen ein Ganzes, das uns
    bewegt: ein Gegenstand, ein Symbol oder eine Person, die
    gewiß mit sensorisch wahrzunehmenden Qualitäten ausgestattet, aber nicht an Hand dieser definierbar ist. So wie man auf einem armseligen Instrument gute Musik spielen kann, mag
    andererseits trotz Verwendung kostbaren Materials nur ein
    wertloses Bild entstehen.
    Wie die sensorische Qualität Gegenstand des Genusses ist und
    die ganzheitliche Konfiguration Gegenstand des Schönheitserlebnisses, ist das Wesen der Gegenstand der Liebe. Und wie ein Ding mehr ist als seine sensorischen Qualitäten, ist auch ein
    Wesen mehr als sein Körper. So wie der Mensch einen Körper
    hat oder sich in seiner
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