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Die Reise Nach Helsinki

Die Reise Nach Helsinki

Titel: Die Reise Nach Helsinki
Autoren: Christiane Gibiec
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ins Eis und setze mich hinein,
da ist es einem wärmer ums Herz als im Angesicht dieser
Frau.«
    »Er ist ein Säufer, wie alle
Finnen«, konterte Emma, »er wird noch unsere ganze Existenz
versaufen, ich hätte es wissen müssen, als ich ihn
heiratete.«
    Anna verschloss ihre Ohren und bezog
keine Stellung, gefühlsmäßig stand sie allerdings meistens auf der
Seite ihres Vaters. Und was die Existenz betraf, konnte Emma sich
wahrlich nicht beklagen, Pekka verdiente
viel Geld, und sie konnte sich jeden Luxus leisten.
    Jetzt stand Anna energisch auf und
schob ihn hinaus. »Mach dich nicht so klein«, zischte sie, »da
wartet sie doch nur drauf.«
    »Ich bin klein und elend, kulta [ Gold, Synonym für
Liebling ], von mir
ist nicht mehr viel übrig. Ich bin ein altes Wrack, ich werde bald
sterben. Manchmal tut mir das Herz so weh.«
    Er setzte sich auf die Treppenstufen
und griff sich an die Brust. »Es klopft und sticht, als würde es
mir gleich zum Hals herauskommen.«
    »Dann trink nicht, du weißt, dass
der Branntwein Gift für das Herz ist. Geh und schlaf ein bisschen,
dann wird es besser.«
    »Bleib bei mir, ich habe Angst. Alle
verlassen mich, niemand liebt mehr den alten Pekka.«
    Sie schob ihn in sein Zimmer am Ende
des Flures. Während Anna in Berlin gewesen war, hatte Emma ihn aus
dem gemeinsamen Schlafzimmer ausquartiert, weil er unerträglich
schnarche, wie sie behauptete. Anna wartete, bis Pekka sich auf
sein Bett gelegt hatte, setzte sich neben ihn und nahm seine
Hand.
    »Wer verlässt dich, wer liebt dich
nicht mehr?«
    »Alle«, murmelte er, »alle verlassen
mich. Dass Elias geht, ist wohl beschlossene Sache, er hat es mir
gestern gesagt.«
    »Aber warum? Habt ihr euch
gestritten? Verdient er nicht genug? Du könntest doch seinen Lohn
erhöhen.«
    »Das hat alles keinen Sinn mehr,
Reisende soll man nicht aufhalten.«
    Er hatte die Augen schon halb
geschlossen, und Anna nahm sich vor, in ihn zu dringen, wenn er
wieder nüchtern war. Sie streichelte seine Hände und sein Gesicht,
bis er eingeschlafen war.
    Pekka mit dem weichen Mund, den
breiten Wangenknochen, der glatten, blonden Strähne, die ihm immer
ins Gesicht fiel, den lachenden, blaugrünen, ein wenig eng
zusammenstehenden Augen, die Anna von ihm geerbt hatte, den
Finnenaugen, wie Louise sagte. Pekka, der reichste Händler am Wall,
berühmt für seinen Charme und seine
ausgefallenen Posamentierwaren und noch mehr für seine Pelze,
Silberfüchse, Blau- und Rotfüchse, Eichhörnchen, Zobel, was das
Herz begehrte. Keiner konnte so elegant schneiden, die Leute
kauften und kauften.
    »Pekka wird langsam zu einem der
Größten in Elberfeld«, tuschelte Louise, »die Frauen der
Regierungsbeamten kommen aus Düsseldorf zu uns, stell dir das vor.
Bald hat er alle überrundet, die Pelze haben ihn reich
gemacht.«
    Emma konterte mit verkniffenem Mund:
»Die Grundlage haben andere gelegt, Louise, das weiß ja wohl
niemand besser als wir.«
    Pekka Salander war 1891 im Alter von
fünfundzwanzig Jahren aus Finnland nach Elberfeld gekommen, nachdem
er sich auf eine in den »Neuesten Nachrichten für Elberfeld und
Barmen« ausgeschriebene Stelle in der Posamentierwarenhandlung
Brüninghaus beworben hatte. Die beiden Schwestern Louise und Emma
Brüninghaus, damals dreiundzwanzig und neunzehn Jahre alt, hatten
kurz vorher beide Eltern bei einem Unfall mit einer Pferdedroschke
verloren. Sie waren gänzlich unerfahren in geschäftlichen Dingen
und suchten händeringend jemanden, der den elterlichen Laden
weiterführen konnte. Pekka bewarb sich, er sprach leidlich deutsch,
gab an, aus einer Pelzhändlerfamilie in der finnischen Textilstadt
Tampere zu stammen, im väterlichen Geschäft und später auch in
einem Pelzhandel in Helsinki gearbeitet zu haben. Sie stellten ihn
ein, und er sprudelte über vor Geschäftsideen. Er sah sich in
Barmen in den Bänderfabriken nach den neuesten und ausgefallensten
Posamentierwaren um und ordnete das Sortiment neu, dann richtete er
über dem Laden eine Kürschnerei ein und importierte aus Helsinki
über seinen Geschäftspartner und Freund Carl Soderberg hochwertige
Felle.
    Tag und Nacht saß er in der
Werkstatt hinter der ratternden Pelznähmaschine und fertigte nach
eigenen Entwürfen elegante Mäntel, Jacken, Schals und Capes, die
reißenden Absatz fanden. Dann stellte er den Kürschner Elias
Schlipköter ein. Onkel Eli, wie Anna ihn nannte, erwies sich als
Naturtalent und setzte Pekkas Ideen perfekt
um. »Besser, als ich es selbst
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