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Die Reise in die Dunkelheit

Die Reise in die Dunkelheit

Titel: Die Reise in die Dunkelheit
Autoren: Andrej Djakow
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fremder Schmutzwäsche er da hineingeraten war.
    Doch nun gab es kein Zurück mehr. Die Entscheidung war gefallen. Und als Stalker wusste er intuitiv, dass die Probleme nun erst beginnen würden.

3
    DIE ENTFÜHRUNG
    Die Nachricht von der Vernichtung der Siedlung auf der Moschtschny hatte Taran ebenso überrascht wie erschüttert. Erst vor Kurzem war er mit Gleb über die gepflasterten Bürgersteige des lauschigen Orts spaziert, hatte sich mit den freundlichen, auf ihre Weise glücklichen Bewohnern unterhalten und die gepflegten, farbenfrohen Blumenbeete bewundert. Die Erinnerung war noch so frisch, als wäre es gestern gewesen. Und nun hatten unbekannte Täter dieses paradiesische Refugium mit einem Schlag ausradiert. Erstaunlich, wie sich im Menschen der Schaffensdrang mit Zerstörungswut paarte …
    Nachrichten verbreiteten sich schnell in der Metro. Erst jetzt, da der Stalker von der Tragödie erfahren hatte, fielen ihm die auf den ersten Blick unmerklichen Veränderungen im Verhalten der Menschen auf. Die Chance auf eine baldige Umsiedlung, die schon zum Greifen nahe gewesen war, hatte sich über Nacht zerschlagen . A uf die Moral der Metrobewohner wirkte sich das verheerend aus . A n die Stelle von hoffnungsfroher Geschäftigkeit trat blanke Apathie. Es wurde auffallend wenig gesprochen und viele Gesichter erstarrten zu Masken der Ohnmacht, aus denen jede Hoffnung verschwunden war.
    Als Taran auf dem Rückweg die Frunsenskaja erreichte, bemerkte er dort einen Menschenauflauf am Bahnsteig, der für die sonst so ruhige Station ungewöhnlich war. Die Leute drängten sich um Säcke aus Planenstoff, die nebeneinander aufgereiht lagen. Leichen. Der Anblick war so alltäglich und vertraut, dass er weder Entsetzen noch Mitleid hervorrief. Ein neuer Tag – neue Opfer. Worüber sollte man sich noch aufregen in diesem vergrabenen Überrest einer untergegangenen Welt, der wie durch ein Wunder heil geblieben war?
    In der Nähe tauchte der schwarze Mantel eines Totengräbers auf. Den gesichtslosen Saubermännern der Metro stand heute viel Arbeit bevor.
    Im schwachen Schein der Lampen löste sich ein grauer Schatten aus der Menge. Kurz darauf erkannte Taran das Gesicht einer Frau mit schwarzem Kopftuch, die geradewegs auf ihn zuging. Verquollene, aber trockene Augen – die Tränen waren längst versiegt. Leichenblasse, bebende Lippen. Ein entrückter Blick, gezeichnet von grenzenloser Trauer.
    »Du bist doch ein Söldner, nicht wahr?«, fragte sie leise und sah den Stalker unverwandt an. »Was kosten deine Dienste?«
    Taran druckste herum. Er ahnte bereits, worum die Frau ihn bitten wollte. Im Augenblick hatte er keine Zeit für andere Aufträge.
    »Keine Sorge wegen des Honorars«, versicherte die Frau, als sie die ablehnende Stimmung des Stalkers bemerkte. »Die ganze Station wird zusammenlegen . A ber finde sie. Finde sie und töte sie . A lle. Hörst du, Söldner? Töte sie alle! Töte sie!«
    Ihr Mund verzog sich zu einer Grimasse der Verzweiflung, und mit ihren kleinen, schwachen Fäusten trommelte sie gegen Tarans Brust. Der schien das überhaupt nicht zu spüren und schaute wie abwesend in ihre schwarzen, kummervollen Augen. Der Stalker stand da wie gelähmt, unfähig, sich umzudrehen und seines Weges zu gehen. Schließlich zerrten andere Stationsbewohner die Frau von ihm weg und führten sie zu den Sperrholzbaracken des Wohnbereichs.
    »Nimm’s ihr nicht übel, Taran. Sie haben ihren Sohn umgebracht. Und noch fünf andere von uns.« Neben Taran stand, auf eine klobige Krücke gestützt, ein beinamputierter, spindeldürrer Greis. »Es war die Bande des Heiden. Schon mal gehört von denen? Dieses Gesindel ist völlig verroht. Denen ist nichts mehr heilig.«
    Der Stalker schwieg. Über die Heiden – so nannten sie sich zu Ehren ihres Anführers – kursierten üble Gerüchte. Taran wusste sogar, dass sie ihren Unterschlupf in einem Verbindungstunnel zwischen den Linien 4 und 5 hatten. Durch diese ursprünglich zu betriebstechnischen Zwecken errichtete Röhre konnte man von der Dostojewskaja über die Swenigorodskaja und Puschkinskaja zur Technoloschka gelangen und dabei die Zollposten des Handelsrings umgehen. Dort hatten sich die Heiden eingenistet und kassierten »Wegezoll« von den Schmugglern . A uch die Drogenkuriere der Uliza Dybenko und die Sklavenhändler aus dem Imperium der Veganer benutzten dieses Schlupfloch, denn aufgrund einer gigantischen Erdspalte zwischen der Puschkinskaja und der Wladimirskaja war
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