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Die Reise des Elefanten - Die Reise des Elefanten - A viagem do elefante

Die Reise des Elefanten - Die Reise des Elefanten - A viagem do elefante

Titel: Die Reise des Elefanten - Die Reise des Elefanten - A viagem do elefante
Autoren: Stephan Puchner
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noch in Italien, Vitipeno heißt. Warum die Österreicher und Deutschen sie Sterzing nennen, übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Dennoch kommt es uns so vor, wenngleich wir nicht die Hand dafür ins Feuer legen würden, dass das Italienische in dieser Gegend weniger verstummt als das Portugiesische in der Algarve.
    Wir haben Brixen bereits hinter uns gelassen. Es ist unsunverständlich, wieso in einer ohnehin so erhebungsreichen Gegend mit so zahlreichen schwindelerregenden, übereinandergetürmten Bergen auch noch diese tiefen Narben der Brenner- und Eisackschlucht eingegraben wurden, man hätte sie doch auch an anderer, weniger von der Natur gesegneter Stelle platzieren können, wo dieses einzigartige Naturphänomen dann mit Hilfe der Tourismusindustrie das harte Leben der dortigen Bevölkerung etwas hätte lindern können. Auch wenn es angesichts der so freimütig geschilderten narrativen Probleme bei der Durchquerung der Eisackschlucht berechtigt wäre anzunehmen, diese ganzen Bemerkungen dienten lediglich dazu, die zu erwartende Kargheit bei der Beschreibung des Brennerpasses auszugleichen, in den wir uns gerade hineinbegeben, ist dem nicht so. Sie sind vielmehr das schlichte Eingeständnis, dass an dem bekannten Satz, Mir fehlen die Worte, einiges Wahre dran ist. Es heißt, eine der von den Indios in Südamerika, vermutlich in Amazonien, gesprochenen Sprachen verfüge über mehr als zwanzig, siebenundzwanzig, glaube ich mich zu erinnern, Bezeichnungen für die Farbe Grün. Verglichen mit der diesbezüglichen Armut unseres eigenen Vokabulars mag man meinen, es müsste für die Indios bei all diesen genau differenzierten, sich nur durch feine, schier unmerkliche Abstufungen unterscheidenden Grüntönen ein Leichtes sein, den sie umgebenden Urwald zu beschreiben. Wir wissen nicht, ob sie es je versucht haben, und auch nicht, ob sie mit dem Ergebnis zufrieden waren. Was wir jedoch wissen, ist, dass ein Monochromismus, wie beispielsweise, um nicht noch weiter abzuschweifen, das scheinbar so vollkommene Weiß dieser Berge, uns auch nicht weiterhilft, gibt es doch über zwanzig Weißtöne, die das Auge zwarnicht wahrnehmen kann, deren Existenz es jedoch spürt. Die Wahrheit, falls wir diese in all ihrer Grausamkeit akzeptieren wollen, ist einfach die, dass es unmöglich ist, eine Landschaft mit Worten zu beschreiben. Oder aber es ist möglich und lohnt nur nicht die Mühe. Ich frage mich, ob es die Mühe lohnt, das Wort Berg zu schreiben, wenn wir doch nicht wissen, welchen Namen der Berg sich selbst geben würde. Bei der Malerei verhält es sich da schon etwas anders, sie ist durchaus in der Lage, auf der Palette siebenundzwanzig eigene Grüntöne zu schaffen, die der Natur entgangen sind, und auch noch ein paar andere mehr, die nicht danach aussehen, und das nennen wir dann bekanntermaßen Kunst. Gemalte Bäume verlieren keine Blätter.
    Wir befinden uns bereits am Brennerpass. Auf ausdrückliches Geheiß des Erzherzogs üben wir uns in vollkommenem Schweigen. Im Gegensatz zu sonst weist die Kolonne bisher keinerlei Auflösungstendenz auf, als hätte die Angst eine vereinigende Wirkung, die Pferde der erzherzoglichen Kutsche berühren mit ihren Nüstern fast die Hinterteile der letzten Reittiere der Kürassiere, Soliman ist dem Duftfläschchen des Erzherzogspaares so nahe, dass er jedes Mal, wenn die Tochter Karls des Fünften die Notwendigkeit verspürt, sich zu erfrischen, verzückt den Geruch einatmet. Der Rest des Zuges, beginnend mit dem Ochsenwagen für das Futter und den Wasserbottich, folgt direkt dahinter, als wäre dies die einzige Möglichkeit, ans Ziel zu gelangen. Sie zittern vor Kälte, doch mehr noch vor Angst. In den Nischen der hohen Steilhänge häuft sich der Schnee, und immer wieder gehen mit einem dumpfen Geräusch kleine Lawinen auf die Kolonne nieder, welche zwar an sich keine Gefahr darstellen, jedoch die Angstschüren. Es gibt niemanden, der sich so sicher fühlt, dass er seine Augen nutzen würde, um die Schönheit der Landschaft zu bewundern, obwohl einer ihrer Kenner gerade zu seinem Nachbarn sagt, Ohne Schnee ist es hier noch viel schöner, Viel schöner, wie denn, fragt der Kamerad neugierig nach, Das kann man nicht beschreiben. Und in der Tat, die größte Missachtung der Realität, ganz gleich, wie diese beschaffen ist, liegt darin, den sinnlosen Versuch zu unternehmen, eine Landschaft zu beschreiben, denn wir müssen dies mit Worten tun, die nicht die unseren sind, die nie die
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