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Die Reise-Bibel

Titel: Die Reise-Bibel
Autoren: Harald Braun
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Teufelswerk sein muss.
    »Juist ist eine kleine ostfriesische Insel, ein Luftkurort. Sehr charmant.«
    Tobi lässt hörbar Luft ab.
    Frau Dammrath, die laut Namensschildchen auf der blauen »High-Fly«-Agenturweste offenbar nur M. heißt, merkt gleich, dass
     mit dem Attribut »charmant« bei diesem jungen Kunden keine Punkte zu machen sind.
    »Juist ist besonders eine Insel für sportliche Urlauber«, legt sie nach. »Kein Autoverkehr, kilometerlange Sandstrände – ein
     Paradies für Fahrradfahrer und Wanderer!«
    Jetzt schaut auch Elli skeptisch. Sie will doch nicht stundenlang durch ein menschenleeres Kaff rennen, wenn sie sich mal
     eine ›Gala‹ besorgen will. Auch Tobi wischt Juist endgültig vom Tisch.
    |25| »Nee, klingt nach Langweile. Haben Sie nichts Günstiges mit viel Sonne und Strand?«
    Frau M.   Dammrath nickt.
    »Selbstverständlich. Allerdings müssten wir uns dann etwas weiter wegbewegen, wenn wir im April bereits Sonnengarantie haben
     wollen. Türkei oder Griechenland, das wäre schon möglich. Oder die Kanaren.«
    »Au ja, Ibiza! Ibiza ist super!«
    Tobi war schon mal da mit ein paar Freunden, gleich nach dem Abitur. Wilde Zeiten, von denen er Elli bereits ausschweifende
     Zusammenfassungen gegeben hat. Dementsprechend begeistert ist sie. So mittel, Tendenz abwärts.
    »Erst mal gehört Ibiza zu den Balearen«, verbessert die angehende Haupt- und Realschullehrerin ihren Freund und lächelt M.   Dammrath   – Monika? Maren? – dabei verschwörerisch an, »und außerdem finde ich es ganz schön arm, den ersten gemeinsamen Urlaub auf
     einer Insel zu verleben, die hauptsächlich für Drogen, Discos und Fahrstuhlmusik bekannt ist. Das ist doch ein wenig phantasielos,
     oder?«
    Sie schaut immer noch die Reiseverkehrsfrau an, adressiert ist diese etwas zu forsch geratene Bemerkung allerdings eindeutig
     an Tobi und dessen vermeintliche Geschmacksunsicherheiten.
    »Was soll
das
denn heißen?« Tobis Stimme zittert leicht. »Was ist denn an Ibiza verkehrt? Was ist so phantasielos daran? Willst du lieber
     auf Juist mit den ollen Ömchen sitzen und am Nachmittag ein Kännchen Kaffee und einmal Torte mit Sahne wegschaufeln? So eine
     Veranstaltung kannst du dir für die Rente aufheben, bis dahin haben wir noch ein bisschen Zeit!«
    Elli wird jetzt richtig sauer.
    »
Ich
will doch gar nicht nach Juist, hör mir doch mal zu!«
    »Was willst du dann? Wenn du alles scheiße findest, können wir auch hierbleiben.« Die vorfreudige Urlaubsstimmung |26| ist jetzt endgültig im Keller. Von dem fröhlichen, unbeschwerten Paar, das vor einer Viertelstunde das Reisebüro betreten
     hat, in der Hoffnung, die romantischen Gefühle füreinander durch die harmonische Wahl eines gemeinsamen Reiseziels zu manifestieren,
     ist wenig mehr übrig als ein Paar, das sich halt erst vier Monate kennt und noch Überraschungen miteinander erlebt. Diese
     hier ist unschön. Auch Frau Dammrath hyperventiliert schon beinahe. Diese Verkaufsveranstaltung läuft gar nicht gut. Sie greift
     wieder ein.
    »Ach, das ist doch ganz normal, dass man sich im ersten Anlauf nicht gleich einigen kann«, sagt sie beruhigend, schenkt dem
     inzwischen arg spitzlippigen Paar einen Kaffee nach und deutet fröhlich auf ein paar Schokohasen.
    Elli und Tobi lehnen ab.
    »Haben Sie denn schon einmal über eine Städtereise nachgedacht? Für so junge aufgeweckte Menschen wie Sie dürfte das eine
     interessante Möglichkeit sein, mit vielen kulturellen Angeboten, aber auch einem abwechslungsreichen Nachtleben!«
    Wenn Frau Dammrath nervös wird, klingt sie manchmal wie einer der bunten Prospekte, die vor ihr liegen, im Originalton.
    »Städtereise   …«, wiederholt Tobi leise und etwas abschätzig, wie Elli heraushört. »Wahrscheinlich auch gleich noch Paris!«
    »Was ist denn gegen Paris einzuwenden?«, fragt Elli schnippisch zurück. »Was ist denn damit schon wieder verkehrt? Oder gefällt
     es dir nicht, dass Paris als die ›Stadt der Liebe‹ gilt? Passt das nicht zu so einem harten Typen wie dir? Möchtest du lieber
     nach Pamplona zum Stierkampf, ein bisschen Hemingway lesen und dir jeden Tag einen amtlichen Whiskey-Rausch antrinken? Wär
     das männlich genug für dich, John Rambo?« Elli ist mit jedem Wort ein wenig lauter geworden, den letzten Satz schreit sie
     beinahe.
    |27| Frau Dammrath greift ihr beruhigend an den Ellbogen, doch an den roten Flecken am Hals ist zu sehen, dass auch sie von dieser
     unschönen Szene in
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