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Die reinen Herzens sind

Die reinen Herzens sind

Titel: Die reinen Herzens sind
Autoren: Faye Kellerman
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Welt. Decker reflektierte über diese Welt.
    Kein Wunder, daß Marie Tandy unter ihre Fittiche genommen hatte, als sie sich als Erwachsene wieder getroffen hatten. Marie hatte die Begegnung als zweite Chance begriffen. Eine Gelegenheit, ihre Seele von der Sünde zu befreien.
    Die verlorene Tochter.
    Es hätte vielleicht funktioniert, wenn Tandy die Kassette mit den alten Fotos und Liebesbriefen nicht entdeckt hätte. Psychisch labil und noch immer um die verlorene Familie und das abgetriebene Baby trauernd, hatte Tandy ihren Eltern nie wirklich vergeben. Und nachdem sie die Briefe gelesen, den Beweis für die Affäre des Vaters mit der Tante gefunden hatte, war sie nicht mehr bereit, irgend etwas zu verzeihen. Eine Weile hatte die Arbeit mit den Gewichten die Stimmen in Schach gehalten. Aber es war einfach nicht genug gewesen.
    »Wissen Sie, wer Ihre Enkelin ist, Lita?«
    Lita schlug die Augen auf. »Wer?«
    »Tandy Roberts. Sie ist Hettys Tochter.«
    »Tandy? Die fette Schwester, die hier gearbeitet hat?«
    »Ja.«
    »Was Sie nicht sagen.«
    »Es ist die Wahrheit.«
    Lita schwieg einen Moment. »Kann sein. Tandy war seltsam, ein bißchen wie Hetty. Ich bin mit Tandy immer gut ausgekommen. Sie hat mir leid getan, und ich mochte sie. Ich bin froh, daß ich sie kennenlernen durfte. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, daß sie mein Fleisch und Blut ist. Manchmal wird doch alles gut.«
    »Gelegentlich. Brauchen Sie noch was, Lita? Bevor ich gehe?«
    »Besuchen Sie mich mal wieder, mein Hübscher?«
    »Nein, Lita. Ich glaube nicht.«
    »Ich hab meine Träume.« Die alte Frau zuckte die Schultern. Ihr Blick traf Decker. Litas Gesicht war hart wie Stein, so zerfurcht wie eine Felswand im Gebirge. »Könnten Sie mir noch ein Spumoni organisieren?«
    »Ich werd’s versuchen.«
    Sie zwinkerte Decker wie eine Verschwörerin zu. »Meinen Sie, ich wäre eine bessere Mutter gewesen, wenn ich Jungs gehabt hätte?«
    »Ich weiß nicht, Lita.«
    »Vielleicht.« Lita seufzte. »Aber wahrscheinlich nicht. Wie ich immer offen zugegeben habe, war ich eine beschissene Mutter.«
    38
    Im hellen Mondlicht, das durch das vergitterte Fenster fiel, wirkte Maries Gesicht bläulich und ausgemergelt. Ihre knochigen Hände lagen gefaltet in ihrem Schoß und zogen das braune Anstaltskleid zwischen ihre Schenkel. Ihre Beine waren nackt, ihre Füße steckten in weichen Lederschuhen. Sie hatte sich nicht umgedreht, als Decker die Zelle betreten hatte, weigerte sich, ihn wahrzunehmen. Seine Fragen trafen auf taube Ohren.
    »Marie, Sie helfen Tandy nicht, indem Sie sie decken«, sagte Decker. »Marie, sie ist krank! Sie braucht eine Therapie. Sie braucht Hilfe! Wenn Sie die Schuld auf sich nehmen und zulassen, daß sie auf freiem Fuß bleibt, richtet sie bald noch mehr Schaden an.«
    Schweigen.
    Decker kratzte sich am Kopf. »Ist Ihnen Lily Booker denn völlig gleichgültig?«
    Den Blick stur auf das Fenster gerichtet, machte Marie endlich den Mund auf. »Natürlich nicht.«
    »Wieso lassen Sie es dann zu, daß ihre Mörderin auf freien Fuß kommt? Selbst wenn die Mörderin nicht zurechnungsfähig war?«
    »Ich bin die Mörderin.«
    »Sie nehmen alles auf sich, wegen einer zwanzig Jahre alten Affäre. Das ändert weder das Vergangene, noch hilft es Tandy. Wenn Sie ihr helfen wollen, hören Sie auf, für ihre Sünden Ihren Kopf hinzuhalten. Diese Verlorene-Tochter-Psychose funktioniert vor Gericht nicht.«
    »Ich habe Lily Booker umgebracht.«
    Decker war wütend. »Wir stellen Tandy vor Gericht, Marie. Niemand glaubt, daß Sie Lily umgebracht und das Baby zu den Roberts gebracht haben. Weil Leek Sie keinen Moment mit dem Baby gesehen hat.«
    »Leek ist ein Gauner und Lügner. Seine Aussage hat nicht viel Wert.«
    »Marie, sparen wir uns die Mühe. Sagen Sie uns endlich, was wirklich passiert ist.«
    »Ich bin durchgedreht«, sagte Marie. »Meine Hormone spielten verrückt. Jeder weiß, was ein gestörter Hormonhaushalt bewirken kann.«
    »Das also ist Ihre geniale Verteidigung, was?« Decker konnte den Sarkasmus nur mühsam unterdrücken. »Ich habe mit Ihrem Arzt gesprochen. Ihr Hormonhaushalt war in Ordnung, Ihre Psyche war in Ordnung. Tandy war diejenige, die ausgerastet ist. Tandys Stimmen waren nicht unter Kontrolle. Tandy hat Stimmen gehört! Sie hatte Halluzinationen!«
    Marie sagte nichts.
    Decker ging auf und ab. »Sie hörte Stimmen, die ihr sagten, was sie tun solle. Der Psychiater sagt, die Stimmen verkörpern ihre strengen Eltern. Ich habe
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