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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin
Autoren: Martina Kempff
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schon gefragt. Ihr Vater war ein mächtiger, reicher Aristokrat gewesen, der sich im Laufe seines Lebens sicher manchen Feind geschaffen hatte. Aber auf der Kykladeninsel hatten sie sich alle in Sicherheit gewähnt, auch wenn bekannt war, dass überall Informanten des Sultan lauerten. Dass einer von ihnen Nikolaos Mavrojenous ermorden würde, war jedoch unwahrscheinlich. Ihr Vater hatte sich aus der Politik zurückgezogen und nur noch um seinen Grundbesitz gekümmert.
    »Du kennst doch Mama«, sagte sie also zu Irini, »sie wittert überall Komplotte und immer ist irgendjemand schuld an ihrem Unglück.«
    Sie bereute ihre Worte auf der Stelle, als sie Irinis gequältes Gesicht sah.
    »Mein Beileid, Mando«, hörte sie neben sich und erkannte in dem Popen ihren Onkel.
    »Pappas Mavros! Wie gut, dass Sie mitkommen, das wird Mutter helfen.« Sie blickte fragend auf den jungen Mann.
    »Das ist euer Cousin Marcus Mavrojenous von der Insel Mykonos«, stellte ihn Pappas Mavros vor. Der junge Mann mit dem auffallend glatten Haar verbeugte sich und murmelte Beileidsworte. Mando nickte höflich. Später würde sie sich daran erinnern, dass sie Marcus bei dieser ersten Begegnung keinen zweiten Blick geschenkt hatte.
    Der heftig gewordene Südwind zwang das Schiff zur Rückkehr im Zickzackkurs. Während sich Irini im Innern des Schiffs übergab und Qualen litt, blieb Mando festgezurrt an Deck sitzen. Der Wind riss ihr das schwarze Tuch vom Kopf, löste ihre Haare und machte einen Höllenlärm, als er durch die straff gespannte Takelage toste. Jedes Mal, wenn das Schiff in ein Wellental tauchte, schrie Mando laut auf. Sie dachte an nichts, konzentrierte sich ganz auf das Aufsteigen und Absacken des Schiffes, spürte nicht, wenn die Gischt über sie spritzte und nahm nur die aufgewühlte See um sich herum wahr. Sie merkte nicht, dass Jakinthos regelmäßig nach ihr sah.
    Er sprach sie nicht an, doch er war hingerissen von dem Anblick der festgebundenen Frau mit den gelösten Haaren, dem wilden Gesicht und den heiseren Schreien. Wie ein Wesen aus einer fremden, längst versunkenen Welt, dachte er. Aphrodite, Athene und Hera sind in ihr vereinigt, sie ist schön, entschlossen und mutig. Eine junge Raubkatze noch, die ihre Fesseln sprengen will und es nicht einmal weiß. Ich werde sie heiraten, aber ich darf sie nicht ganz zähmen. Bei Sturm werde ich ihr Zügel anlegen, die ihrem Schutz dienen, wie die Taue, mit denen sie jetzt festgebunden ist.
    Als das Schiff sechs Stunden später um die Landzunge in die sichere Bucht von Parikia einfuhr, war die Dämmerung bereits angebrochen. Jakinthos näherte sich Mando, half ihr die Taue zu lösen. Als sie aufstehen wollte, versagten ihr die Beine den Dienst. Sie starrte Jakinthos an, als sähe sie ihn zum ersten Mal und schüttelte den Kopf.
    »Schon da?«, fragte sie verwirrt.
    »Schon da!«, echote er lachend. »Die Rückfahrt hat sechs Stunden gedauert!«
    »Unmöglich.«
    Sie fuhr sich über das nasse Gesicht. Hatte sie geweint? Endlich doch Tränen um ihren Vater vergossen? Jakinthos hängte ihr eine Decke um.
    »Sie sind ganz nass. Hoffentlich erkälten Sie sich nicht.«
    Nein, dachte Mando, Tränen, die durch eine so dicke Kleiderschicht gehen, gibt es nicht. Werde ich verrückt? Ich habe hier sechs Stunden festgebunden gesessen und weiß nicht, was in dieser Zeit geschehen ist?
    Sie begann zu weinen.
    Bei der Beerdigung in der ›Madonna der Ekatontapyliani‹, der großen Kirche, die genau ein halbes Jahrhundert zuvor auf Kosten der Familie Mavrojenous restauriert worden war, sorgte Pappas Mavros dafür, dass aus einem kleinen Zwischenfall keine Katastrophe wurde.
    Der Zufall wollte es, dass sich zum Zeitpunkt von Nikolaos Mavrojenous' Tod ein Abgesandter des Sultans auf der Insel aufhielt. Er sollte erkunden, ob aus den Marmorbrüchen, die seit der Zeit der Venezianer brachlagen, nicht doch wieder Stein zu gewinnen wäre. Berichte von den mit Marmor gepflasterten Straßen und unzähligen Häusern aus diesem puren strahlend weißen Stein begeisterten den Sultan und so hatte er Hussein Pascha mit fünf Männern nach Paros geschickt. Die Kunde von Mavrojenous' Tod erreichte sie, als sie auf einem Hügel westlich der Stadt zwei alte Brunnen besichtigten, die von Wasser aus einem Marmorfelsen gespeist wurden.
    Für Hussein Pascha war es selbstverständlich, einem ehemaligen hohen Würdenträger des osmanischen Reichs die letzte Ehre zu erweisen. Außerdem bot sich damit dem in den Augen
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