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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin
Autoren: Martina Kempff
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der Griechen Ungläubigen die Gelegenheit das sagenumwobene Gebäude einmal von innen zu betrachten. Natürlich hätte niemand den Abgesandten des Sultan daran hindern können, die Kirche auch zu anderen Zeiten zu betreten, wenn er es darauf angelegt hätte. Aber Hussein Pascha war ein feinfühliger Mensch, der verstand, dass man einem unterdrückten Volk nicht auch noch den letzten Stolz nehmen dürfe.
    »Was ist denn an diesem Tempel so sehenswert?«, fragte ihn einer seiner Begleiter, als sie den Hügel hinunterritten.
    »Es ist eine der ältesten Kirchen Griechenlands«, erläuterte Hussein Pascha, »der Grundstein wurde im vierten Jahrhundert von der Mutter des ersten christlichen Kaisers Konstantin dem Großen gelegt, aber erst der byzantinische Kaiser Justinian gab der Kirche im sechsten Jahrhundert ihre heutige Form. Es besteht sogar eine direkte Verbindung mit Konstantinopel. Isidor, der Architekt der Hagia Sophia, sollte eigentlich die Kirche errichten, aber er gab den Bauauftrag an seinen Schüler Ignatius weiter.«
    Hussein Pascha zügelte sein Pferd, ließ den Blick über die sanfte Hügellandschaft gleiten, bis er auf der in der Nachmittagssonne schimmernden Stadt mit ihren verwinkelten Gassen hängen blieb.
    »Das Licht hier«, sagte er so leise, dass ihn seine Begleiter kaum verstehen konnten, »bewirkt Wunder. Der junge Ignatius fing es in seinem Bau ein und ließ es dadurch noch heller erstrahlen. Als Isidor kam, um das Werk seines Schülers zu begutachten, erkannte er, dass der Lehrling den Meister überflügelt hatte. Er wurde eifersüchtig und lockte den Jungen aufs Dach, um ihn hinabzustoßen. In seiner Todesangst klammerte sich Ignatius an das Gewand Isidors und beide stürzten gemeinsam in den Tod. Im Vorhof könnt ihr auf einer Säule eine Abbildung des Ereignisses sehen. Ich halte es im Übrigen für angebracht, dass ihr nicht mit in die Kirche kommt«, setzte er hinzu.
    »Ich will die Türen zählen!«, maulte sein Begleiter zur Rechten.
    Hussein Pascha schüttelte den Kopf. »Es gibt keine hundert Türen«, sagte er. »Das ist nur ein Gerücht, dem du übrigens besser keinen Glauben schenkst. Den Namen ›Hunderttürige‹ hat man der Kirche erst vor wenigen Jahren zugedacht. Sie heißt eigentlich Katapoliani, also ›unterhalb der Stadt‹, und wie ihr sehen könnt …«, er deutete auf den zwischen Zypressen und anderen Bäumen gebetteten Komplex, »… trifft diese Bezeichnung zu.«
    »Und warum sollte ich dem Gerücht keinen Glauben schenken?«, fragte der Mann.
    »Weil es heißt, dass bisher nur neunundneunzig Türen entdeckt worden sind. Die Einheimischen glauben, dass Konstantinopel befreit sein wird, sobald man die hundertste Tür findet.«
    »Befreit?«, fragte der Mann verwirrt. Hussein Pascha warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Aus der Sicht der Griechen natürlich!«
    Von seinen Männern begleitet fand sich Hussein Pascha zur Beerdigung ein, als der offene Sarg durch das dreibögige Säulentor in die Hauptkirche getragen wurde. Angesichts der zu erwartenden großen Anzahl von Trauergästen hatte man davon abgesehen, die Messe im ältesten Teil des Kirchenkomplexes, der Kapelle des Heiligen Nikolaos, des Namenspatrons des Verstorbenen, abzuhalten.
    Hussein Pascha wartete, bis die meisten Menschen in der Kirche verschwunden waren, schritt dann unter dem eintönigen Geläut der Totenglocke durch den mittleren Bogen zum Kirchenportal. Eine scharfe Stimme ließ ihn innehalten.
    »Das ist eine griechische Kirche!«
    Er blickte auf den hoch gewachsenen Mann neben der Tür, der ihn feindselig ansah.
    »Ich will nicht stören. Ich möchte dem Toten die letzte Ehre erweisen«, sagte er leise auf Griechisch und wollte die drei Stufen zum Eingang hinaufgehen.
    Zwei gekreuzte Schwerter versperrten ihm den Zutritt.
    »Wir wollen den Sultan hier nicht haben«, sagte der hoch gewachsene Mann. »Gehen Sie weg!«
    Eine schwarz gekleidete, winzige alte Frau, die auf das Kirchenportal zugeschlurft war, streckte einen Arm aus, wies mit einem arthritischen Finger auf den vornehm gekleideten Türken und schrie: »Das ist er! Der Mörder!«
    Hussein Paschas Begleiter, die nach der Säule mit der Abbildung der unglücklichen Baumeister suchten, schraken auf und stürzten mit gezückten Dolchen zum Kirchenportal. Sie blieben stehen, als sie ihren Herrn von Griechen mit Schwertern umringt sahen.
    In dem Augenblick trat Pappas Mavros vors Portal.
    Er wandte sich an die Griechen. »Schwerter!«,
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