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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin
Autoren: Martina Kempff
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In diesem Augenblick verendete die kranke Taube, die in den Brunnen gefallen war.
    Noch vor Einbruch der Dunkelheit hatten sie die Hütte so weit hergerichtet, dass sie die Nacht darin verbringen konnten. Lange saßen sie dicht nebeneinander auf der Steinbank und blickten schweigend übers spiegelglatte schwarze Meer. In dieser mondlosen klaren Nacht waren die Sterne zum Greifen nah. Nur ein paar Zikaden und das Rascheln von Philemon und Baucis unterbrachen die Stille.
    »Warte«, sagte Marcus, als Mando aufstehen und in die Hütte gehen wollte. Er hob sie hoch, trug sie aufs Bett und zog sie langsam aus. Sie schlang die Arme um ihn und zog ihn zu sich herab.
    »Werden wir denn nie genug voneinander kriegen?«, fragte sie flüsternd.
    »Nie«, erwiderte er, »das habe ich dir schon einmal gesagt.«
    Am nächsten Morgen wachte Mando mit einem Gefühl von Übelkeit auf und bat Marcus sie nach Paros zurückzubringen.
    »Ich muss irgendwas Falsches gegessen haben«, murmelte sie, als er ihr aufs Boot half. Ihre Augen glänzten fiebrig und sie zitterte am ganzen Körper.
    Er brachte sie nicht in ihr Haus in Naoussa, sondern in seine Stadtvilla und rief sofort den Arzt. Dr. Koundarinis nahm den Zylinder ab und kratzte sich am Kopf, nachdem er Mando untersucht hatte. Er flüsterte Marcus zu, dass es um seine Cousine sehr schlecht stehe.
    Sie hielt die Augen geschlossen, als er nach ihrer schlaffen Hand griff und sie zum Mund führte. Ihre Lippen bewegten sich.
    Kaum hörbar nannte sie seinen Namen. Ein Strahlen flog über ihr bleiches Gesicht. Er legte sein Ohr an ihre Lippen und hörte sie sagen: »Da sind sie!«
    Er sah, wie sich ihre Füße unter der Bettdecke leicht bewegten und wusste, dass sie sich jetzt bei den Yaludes einreihte. Endlich konnte sie wieder tanzen.
    Sogar Kolokotronis schaffte es, rechtzeitig zu ihrer Beerdigung in Paros einzutreffen. Er salutierte vor dem Sarg, legte eine rote Rose auf die Brust, die ihn einst so entzückt hatte und schüttelte Marcus mit Tränen in den Augen die Hand. Ganz Paros wusste wieder, wer Mando Mavrojenous war, und die große Katapoliani-Kirche konnte die Trauergäste kaum fassen, die von allen Inseln der Kykladen herbeigeströmt waren, um der Heldin von Mykonos die letzte Ehre zu erweisen.
    Mando lag in dem mit Seide ausgeschlagenen Sarg, trug Smaragdohrringe und die Uniform eines Generalleutnants. Um den Sarg hatte sich eine Ehrenwache von Soldaten formiert. Einer trug die Kleidung eines Janitscharen und hatte sich Türkenköpfe auf die Beine gemalt.
    Die Anerkennung, dachte Marcus, ganz zum Schluss hast du sie also doch noch erhalten. Auch wenn du davon nichts mehr mitbekommst.
    Marcus war von der Hochzeit seiner Tochter in Paris zurückgekehrt und konnte endlich tun, was er seit fünf Jahren geplant hatte. Er legte eine Abschrift seines letzten Willens auf seinen Schreibtisch. Lambrini würde alles erben. Dann setzte er zum letzten Mal die Segel seines kleinen Bootes und fuhr von Paros aus nach Mykonos. Er zog sein Boot auf den Strand von Kalo Livadi und nahm es säuberlich auseinander. Aus dem Holz baute er in der Nähe der kleinen Steinhütte einen Verschlag für die Ziegen und Hühner, die er aus Paros mitgebracht hatte. Er grub das verwilderte Gärtchen um, mistete die Hütte aus, zimmerte sich neue Fensterläden, die er blau anstrich und legte eine bunte Decke aufs Bett. Er erntete die Oliven von Philemon und Baucis und legte sie ein.
    Ein Jahr später stach ihn jene Mücke, die noch genau ein Jahrhundert lang erheblich mehr Menschenleben fordern sollte als der griechische Befreiungskrieg. Er sackte auf dem Weg zum Strand zusammen, wo er sich im Wasser Kühlung gegen das Fieber versprochen hatte. Eine Armee schwarzer Käfer, ein Geschwader dicker Fliegen und ein Heer von winzigen roten Ameisen beerdigten ihn.
    Wer heute in einer Vollmondnacht am Strand von Kalo Livadi zu seltsam fremder Musik sechs Yaludes tanzen sieht, sollte sich an einen Olivenbaum festbinden und genauer hinschauen. Vielleicht ist dann zu erkennen, wie ein junger Mann mit auffallend glattem schwarzen Haar auf eine der Yaludes zurennt, sie aus dem Kreis herauszieht und mit ihr über das Wasser läuft. Hin zu einer Felsengruppe, die in diesem Licht leicht mit einem Schiff verwechselt werden könnte.
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