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Die Rattenhexe

Die Rattenhexe

Titel: Die Rattenhexe
Autoren: Jason Dark
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Nacht arbeiten mußt?«
    Bei der Antwort schaute sie mich nicht an, sondern blickte versonnen zur Themse. »Eigentlich schon, wenn ich ehrlich sein soll.«
    »Dann wird es also nichts mit uns.«
    »Es gibt noch den Tag.«
    »Das ist auch wahr.«
    »Hast du Zeit?«
    »Ja.«
    »Und wieso?«
    »Urlaub«, sagte ich. »Einfach nur Urlaub.«
    »Verheiratet bist du auch nicht?«
    »Nein. Bisher habe ich allen Widrigkeiten trotzen können.«
    »Sehr schön.«
    Ich wußte nicht, wie sie das meinte, aber ihre Stimme hatte schon etwas zufrieden geklungen. Sie schaute noch immer zum Wasser hin, und ich schreckte plötzlich zusammen, weil ich nahe der Bäume etwas über den Boden hatte herhuschen sehen.
    Eine Ratte?
    Ich setzte mich steif hin, aber ich bekam nicht mehr zu sehen. Es konnte auch ein Hund oder eine Katze gewesen sein.
    »He, John, was ist? Du siehst aus, als hättest du eine Freundin entdeckt, was peinlich werden könnte.«
    »Das bestimmt nicht.«
    »Sondern?«
    Ich winkte ab. »Schon gut, Senta. Ich habe nur an etwas gedacht.«
    »An die Ratte!«
    Das war keine Frage, sondern eine Feststellung, die mir nicht besonders gefiel, und die Veränderung an mir war auch für Senta nicht zu übersehen. »Ich schätze schon, daß ich ins Schwarze getroffen habe, John.«
    »Das hast du!«
    Sie lachte mich an. »Die Ratte ist weg. Was willst du denn? Oder haßt du diese Tiere?«
    »Nein, das nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Von Haß kann keine Rede sein. Aber wenn ich ehrlich bin, dann mag ich sie nicht besonders.«
    »Kann ich verstehen, aber nicht begreifen.«
    »Das mußt du mir erklären.«
    Sie begann mit einem Lächeln. »Ich weiß es nicht genau, aber ich habe gehört, daß Ratten sehr intelligente und auch dressierbare Tiere sind. Man hat sie nur immer durch die gesamte Menschheitsgeschichte hinweg verdammt und schlecht gemacht. Sie haben ein mieses Image. Ebenso wie die Schlangen.«
    »Das trifft allerdings zu.«
    »Wenn ein derartiges Image ständig gepflegt wird, dann graben sich die Vorurteile in das Unterbewußtsein ein. Auch ein normal denkender Mensch wie du bleibt davon nicht verschont. So jedenfalls sehe ich die Dinge.«
    »Magst du Ratten?« fragte ich direkt.
    »Ich lehne sie zumindest nicht so strikt ab wie die anderen«, erwiderte sie diplomatisch. »Ich habe immer gelernt, mir selbst eine Meinung zu bilden und bin darauf stolz.«
    »Das ist okay.«
    »Du solltest auch so denken.«
    »Nur bei Ratten?«
    »Bei allem im Leben. Außerdem darfst du nicht vergessen, daß die Ratten noch auf der Erde sein werden, wenn wir Menschen uns bereits gegenseitig vernichtet haben. Ratten sind Überlebenskünstler, ebenso wie die Fliegen und andere Insekten.«
    »Gratuliere, du kennst dich aus.«
    Senta de Fries lächelte nur und hob die Schultern. Eine Antwort gab sie nicht.
    Das Thema war ernster geworden. Keiner von uns wußte so recht, wie er den Faden wieder aufnehmen sollte. Eine Schweigepause war entstanden, und wir schauten in die Ferne. Meine Blicke wieselten dann in Bodenhöhe um uns herum, denn noch immer hatte ich die huschende Bewegung nicht vergessen.
    Bis ich den Schrei hörte.
    Plötzlich saß ich kerzengerade.
    Ich sah die Kellnerin mit den Mandelaugen etwas weiter entfernt stehen.
    Und ich sah auch, daß sie von einem Tier angesprungen war, das sich in ihrer Wade festgebissen hatte.
    Eine Ratte?
    Egal, ich mußte helfen und stürmte los…
    ***
    Im Kino sieht man oft Szenen in Zeitlupe. Da bekommt der Zuschauer jede Bewegung mit. In diesem Fall allerdings war ich kein Zuschauer, sondern selbst ein Akteur, und auf meinem Weg zu dieser Frau kam mir die Zeit verzögert vor. Sie hatte geschrieen. Der Schmerz und der Schreck waren bei ihr zusammengekommen. Danach hatte sie steif wie ein Besen auf der Stelle gestanden, was nun vorbei war, denn das Tablett, das sie noch wie in einem Krampf gehalten hatte, rutschte langsam nach vorn, und die dort stehenden leeren Gläser und Krüge kippten über den hochstehenden Rand hinweg zu Boden.
    Sie zerbrachen, und diese klirrenden Geräusche brachten mich wieder zurück in die Realität. Alles lief normal ab. Ich rannte auf die Kellnerin zu, die anderen Gäste saßen noch bewegungslos auf ihren Stühlen, und das Tier, das sich mit der Schnauze in ihrer Wade festgebissen hatte, mußte einfach eine Ratte sein.
    Ich lief noch schneller.
    Aber ich kam zu spät. Plötzlich ließ das Tier los. Es plumpste ins Gras und rannte weg.
    Die Kellnerin jammerte. Sie taumelte nach
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