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Die Ratten im Maeuseberg

Die Ratten im Maeuseberg

Titel: Die Ratten im Maeuseberg
Autoren: Léo Malet
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wieder in Betrieb zu nehmen und damit den
chaotischen Straßenverkehr zu entlasten, sind wiederholt gescheitert. Da sich
an stillgelegten Schienensträngen aber vortrefflich Leichen verscharren lassen,
spielt die Ring-Bahn für die ,Ratten im Mäuseberg“ eine
wichtige Rolle.

     
    Namen sind oft trügerisch. Man
denke an die vielen baufälligen Häuser in Belleville (!) oder eben an das
frühere Arbeiterviertel Plaisance, was vom Wortsinn her Vergnügen und Lust
verspricht. Ein Vergnügen war es selten, in Plaisance zu wohnen. Früher
vielleicht, vor der Gründerzeit, da blühte noch der Weizen zwischen alten
Mühlen. Straßennamen aus dieser Zeit haben sich Erhalten. Moulin Vert zum
Beispiel oder Moulin-de-la-Vierge, in der freilich, wie Burma süffisant
anmerkt, „ich weder Mühle noch Jungfrau „ fand. Die Mühlen sind mit einer
Ausnahme verschwunden. Daß die ausgerechnet auf dem Friedhof steht, ist pikant
und bezeichnend genug. Selbst Straßen, die Mühlen-Namen trugen, gibt es nicht
einmal mehr auf dem Stadtplan, wie die Rue Moulin-du-Beurre. Was der bauwütige
Baron Haussmann im 19. Jahrhundert in die Wege geleitet hatte, suchte hundert
Jahre später der Präsident Pompidou zu vollenden. Planierraupen fraßen sich gierig
in zumeist gebrechliche Bausubstanz, walzten verwinkelte Bruchbuden und
Atelierwohnungen erbarmungslos nieder und machten ganze Straßenzüge dem
Erdboden gleich. Nichts bleibt mehr von der Herberge der Mère Saguet, einem
bliebten Ausflugsziel von Victor Hugo oder Alexander Dumas.

     
    Abrasiert ist die Rue Perrel,
in der unser alter Freund Rousseau seine letzten Jahre verlebte. Und weggefegt
ist auch die Rue Blottière, der sicher keine Träne nachzuweinen wäre, hätte
dort Malet zufolge, nicht ein gewisser Ferrand gehaust, „in einer Bruchbude,
vor der eine Gaslaterne blinde Wache hielt“. Die Rue Blottière liegt unter der
Erde (wie auch ihr Bewohner Ferrand). Ihr Grabstein ist von strotzender
Häßlichkeit. Sozialer Wohnungsbau der schlimmsten Sorte. Ein weißgrauer
schmutziger Koloß, den man irgendwann auch wieder abreißen wird. Direkt am
Bahndamm. Da mögen Leichen ruhig ruhn. Wenn nicht gerade ein Zug vorüberfährt.
    Bleibt die Rue Vercingetorix,
eine der alten Lebensadern in Plaisance. Aber was bleibt? Kaum noch Ruinen. Das
Atelier von Gauguin eingestampft, die Cour des Miracles, der Wunderhof,
abgerissen. Zwei Dutzend einstöckige Ateliers, mit einem gepflasterten Hof und
kleinen Hütten, die aus den Resten der Weltausstellung von 1889
zusammengestückelt wurden. Auch hier führte eine steile Holzstiege hinaus ins
kümmerliche Atelier eines gewissen Rousseau. Weiter oben, eingezwängt zwischen
sterilen Betonklötzen, dann die Überraschung. Eine kleine Bäckerei, die dem
wütenden Angriff der Bulldozer standgehalten hat. Mittlerweile steht sie unter
Denkmalschutz.

    Aber seien wir ehrlich! Nicht
alles, was da unter der Schirmherrschaft von Monsieur Pompidou in Schutt und
Asche fiel, war es wert, erhalten zu werden. Anders als beispielsweise im
Marais am rechten Seine-Ufer ging hier keine mittelalterliche Bausubstanz
verloren. Und die Sturm- und Drang-Zeit der kompromißlosen Stadtsanierer ist
inzwischen differenzierteren Planungen gewichen. Engangierte Bürgerinitiativen
haben das ihre getan und oft das Allerschlimmste verhindert. Und schließlich
gibt es auch gewagte, aber durchaus geglückte Beispiele einer experimentellen
Architektur wie zum Beispiel der eigenartige Kolonnen-Bau von Ricardo Boffil.
    Plaisance war und ist das
Hinterland von Montparnasse. Immer noch ein Arbeiterviertel, längst nicht mehr
die Zufluchtsstätte der vielen Maler und Bildhauer, aber fast schon ein
Geheimtip für Hausspekulanten auf der unermüdlichen Suche nach wertsteigernden
Objekten. Wer sich die Mühe macht, wird fündig. Da gibt es zauberhafte
Hinterhofgärten wie die hinter zwei Torbögen versteckte Villa Jamot, wobei das
Wort Villa hier für kleine Sackgassen steht, meist hinter hohen Häuserwänden
verborgene Oasen abseits der dichtbefahrenen Straßen.
    Hier wohnen noch immer
Alteingesessene, aber auch neu Hinzugezogene, die in oft monatelanger
Kleinarbeit unkonventionelle Refugien zusammenbasteln.

    Die Zeit der Squatter scheint
vorüber. Die Hausbesetzer hatten hier eine Hochburg gefunden und waren meist
erst nach zähem Widerstand aus den bereits halbverfallenen Ruinen
herausgetrieben worden. Der Sumpf der Drogenszene hielt vor allem die Gegend um
die Rue de l’Ouest fest im
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