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Die Quelle

Titel: Die Quelle
Autoren: James A Michener
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sich Eliavs Inneres gewehrt, gegen dieses Fort anrennen zu müssen! Jetzt sang er, wie König David gesungen hatte beim Aufstieg nach Jerusalem: »Wo der HErr nicht bei uns wäre, wenn die Menschen sich wider uns setzen: so verschlängen sie uns lebendig, wenn ihr Zorn über uns ergrimmte.«
    Das Fort war damals wie durch ein Wunder gefallen - wie durch eines der Wunder, von denen die Thora erzählt. Und hinter dem Fort sah er das makellose Land mit den majestätisch sich erhebenden Bergen und den gewaltig sich ballenden Wolken über dem See, der so vielen Menschen heilig ist.
    Ganz in der Ferne konnte er nun den See selbst erkennen. Dort unten lag das Land, das Schemuel Hakohen schließlich doch noch von dem Emir in Damaskus hatte erwerben können
    - das Land, mit dem die Juden bewiesen hatten, daß sie nicht nur im Talmud zu lesen vermochten, sondern auch ihren angestammten Grund und Boden zu bewirtschaften wußten. Man sollte eigentlich so sein wie Schemuel, dachte Eliav. Man steckt sein Land ab, und vom Rücken eines Esels aus verteidigt man es. Und wenn jemand auf einen schießt, schießt man zurück. Und wenn man am Ende fällt, vertraut man darauf, daß die Enkelin Ilana das Werk weiterführen wird. Eliav beugte sein Haupt und flüsterte: »Wo nimmt ein Mann den Mut her, ein Land wie dieses zu regieren?«
    Als er wieder aufblickte, fand er ganz unerwartet die Antwort auf seine Frage. Er schaute hinunter auf Tiberias, diese unbedeutende und doch so einzigartige Stadt, die der Welt den Talmud und die Bibel geschenkt hatte. Draußen vor den alten Mauern der Kreuzritter konnte er das Grab des Moses Maimonides erkennen, von dem es heißt: »Von Moses bis Moses war keiner wie Moses.« Eliav dachte: Ich hoffe für mich auf nur ein Zehntel seiner Weisheit; noch an diesem Nachmittag, wenn ich durch Tiberias komme, werde ich eine Kerze an seinem Grabe anzünden. An seinem Grabe? Ob überhaupt eine Spur der irdischen Überreste des großen Philosophen jemals diese Grabstätte erreicht hat? Die Gruft kann doch nur ein Ehrenmal für ihn sein. Denn so erzählt es die Legende: Als Maimonides im Sterben lag, war es sein letzter Wunsch, nicht in Ägypten bestattet zu werden, sondern in Israel. Nach seinem Tode band man seinen Leichnam auf einen Esel und ließ das Tier nach Norden ziehen. In Tiberias war es verendet. Und so stand nun dort das Grabmal, um die Menschen zu mahnen, daß sie auch im Alltag die Vernunft walten lassen können, wenn sie sich nur um Vernunft bemühen. »Ich werde drei Kerzen anzünden«, sagte Eliav.
    Dann schweifte sein Blick über den Berg, der sich hinter Tiberias erhob, hinüber zu den Hörnern von Hittim, in deren Angesicht jene schicksalswendende Schlacht geschlagen worden war. Und er rief sich die Höhle in Erinnerung, in der, einer anderen Legende zufolge, sich das Grab des Rabbi Akiba befinden soll, dieses leuchtenden Vorbildes. Ich wünschte, dachte Eliav, er wäre heute unter uns. Denn es begannen
    Stimmen der Unzufriedenheit laut zu werden, in Israel und in der übrigen Welt. Sie wandten sich gegen das Engherzige im Gefüge des heutigen Judentums: Da war Zippora Zederbaum, die durch ein viertausend Jahre altes überlebtes Gesetz daran gehindert wurde, zu heiraten; da war Eliav selbst, der wegen der Gebote für die Kohanim Vered nicht heiraten konnte; da war Zodmans Scheidung, die nicht als bindend angesehen wurde, weil man modern denkenden amerikanischen Rabbinern nicht vertrauen konnte; da war jene deutsche Frau, die unter Aufopferung ihres Augenlichtes und ihres Lebens dem Judentum treu geblieben war und Kinder hatte, die nicht als Juden anerkannt wurden; da waren die indischen Juden, die ausgeschlossen blieben; und da war Leon Berkes, der Jude, den man nicht hatte arbeiten lassen. Die Erstarrung, die sich in diesen krassen Fällen äußerte, machte Eliav ganz besondere Sorgen, denn er wußte aus der Geschichte nur zu gut, daß, wenn sich derlei wiederholte, das Aufbegehren der Kibbuzniks und von Menschen wie Ilana und Vered schlimme Folgen haben konnte. In jedem andern Staat hätte sich ein typischer Regierungsbeamter wie Eliav gemeinsam mit ihnen den Geistlichen entgegengestellt, die darauf bestanden, ein derartiges Gesetz als unantastbar zu erklären. Und er hatte ja auch schon begonnen, Ilana Hakohens Redensart zu übernehmen: »... dieser Mickymaus-Unfug.«
    Aber Ilan Eliav lebte nicht in irgendeinem »anderen Staat«. Und er war auch kein »typischer Regierungsbeamter«. Er war Jude,
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