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Die Pubertistin - eine Herausforderung

Titel: Die Pubertistin - eine Herausforderung
Autoren: Baumhaus
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Kind, als das ich mich hier unter Wasser fühle, würde ich zurück in der Schule einen Aufsatz schreiben: Mein schönstes Ferienerlebnis. Da würde dann stehen:
     
    Meine Ferien waren schön. Mein Kind ist mit mir ans Meer gefahren. Dort hat sie mir gezeigt, wie man taucht. Sie hat mich ganz fest gehalten und mir viele bunte Fische gezeigt. Wenn ich lieb bin, hat sie gesagt, verreist sie nächstes Jahr wieder mit mir. Ich werde mir ganz viel Mühe geben.

In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten nämlich haben wir die Samstage und Sonntage in unserer selbst gewählten Viererformation verbracht. Wir haben alle zusammen gefrühstückt, Nachmittagsfilme geschaut und abends Freunde zum Essen eingeladen, mit deren Kindern unsere Töchter im Nebenzimmer Wetten dass?! guckten. Oder wir sind in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, um die Töchter mitsamt ihrem Trainer und den Vereinskameradinnen quer durch unser weitläufiges Bundesland zu fahren, wo sie von viel größeren und brutaleren Volleyballerinnen, Reiterinnen oder Judokas plattgemacht wurden. Oder aber wir haben uns alle miteinander wegen irgendwelchem Kram ordentlich gestritten und so die gruppendynamischen Verschiebungen der letzten Woche kompensiert.
     
    All das ist nun vorbei. Die Pubertistin übernachtet bei der coolen Elektra (oder ist es Yasmin?), und ihre Schwester hat einen neuen Freund. Der Vater und ich finden uns allein am Frühstückstisch wieder, und weil ich das Kinderlos-Wochenendprogramm noch nicht so recht verinnerlicht habe, habe ich schon wieder vier Eier gekocht. Oh Mann!
     
    Still ist es am Tisch, keiner streitet. Ganz schön öde, sagt der Mann und köpft das zweite Ei. Ja, sage ich, aber wir wussten ja, dass es so enden würde. Aber so früh?, insistiert er.
     
    Gemeinsam wägen wir die Vor- und Nachteile des Pärchenwesens ab. Ja, wir können jetzt Schabefleisch mit Zwiebelchen auf den Tisch stellen, ohne dass unsere volljährige Tierschützerin einen Erbrechensanfall andeutet. Der Vater darf nun schon morgens Musik der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts hören, ohne dass die Pubertistin rummault. Und ich laufe zum Kühlschrank und öffne das Gläschen mit rotem Kaviar, das die Oma und der Opa uns geschenkt haben – und keine unserer Töchter schneidet das Thema Fischbabys und deren Verzehr an. Na, sage ich zum Vater, das sind doch dicke, fette Vorteile oder was? Er atmet tief durch.



Wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken: Wir sind halbverwaiste Eltern. Bis vor kurzem war wenigstens noch eines unserer beiden Kinder am Wochenende daheim, nun aber hat auch die Pubertistin erkannt, wie uncool das Leben im Speckgürtel ist, in den wir sie einst verschleppt haben. Zu viel saubere Luft undzu wenige Einkaufszentren, schon klar. Was sie dort in der großen Stadt wohl treibt?
     
    Das Schicksal will es, dass meine Tochter Jahrzehnte nach mir auf exakt jenen Pfaden den Großstadtdschungel durchstreift, die auch ich einst gegangen bin. Dass dort die gleichen Versuchungen locken, will ich nicht hoffen. Als ich mit fünfzehn vom Stadtrand aus die Hauptstadt enterte, war ich ein langhaariges und flachbrüstiges Nickelbrillenmädchen mit, wie ich meinte, blendendem Humor. Mangels Taschengeld lungerte ich mit meinen Freundinnen auf innerstädtischen Parkbänken herum und harrte der Jungs, die des Weges kamen. Traute sich einer mal näher ran, wurde er von mir grausam ausgelacht – so witzig war ich. Wenn er das tapfer aushielt, durfte er mich nach Hause bringen und vor der Tür meiner Eltern nach meiner Telefonnummer fragen. Rief er binnen zwei Tagen an, gingen wir bald miteinander – spätestens vier Wochen später hat einer von uns beiden Schluss gemacht.
     
    Was heute im hauptstädtischen Flirtbereich vorgeht, erfahre ich allenthalben aus dem Fernsehen, die Pubertistin rückt nur auf hartnäckiges Nachfragen einpaar Basisangaben heraus. Wegen des herbstlichen Wetters müssen laut Medienberichten paarungswillige Großkinder Parkbänke meiden und in geschlossene Räume ausweichen. Das sind Einkaufszentren, von denen in der Hauptstadt gerade wieder ein noch größeres und hässlicheres eröffnet worden ist. Da lungern sie dann herum, die Girls, befummeln in den zielgruppenkompatiblen Shops T-Shirts, die von asiatischen Kindern zusammengenäht wurden. Sie lümmeln an den Rolltreppen herum und checken die Jungs, die vor ihren Augen hinauf- und hinabschweben. Sie zwirbeln ihre Haare um die Zeigefinger und kriegen Lachkrämpfe, wenn sich
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