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Die Pubertistin - eine Herausforderung

Titel: Die Pubertistin - eine Herausforderung
Autoren: Baumhaus
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bei den beiden ausgeht. Öd wird es aber auf jeden Fall.
     
    Wir werden dummes Zeug quatschen, viel zu viel essen – Birgit und ihr neuer Freund, dessen Namen ich immer wieder vergesse, haben Mediterranes fürs Büfett erbeten. Und natürlich werden wir trinken. Caipirinha, Weißwein, Bier, alles Bio, versteht sich. Ab elf Uhr werden die Pärchen sich untereinander verstohlene Wie-lange-dauert-das-denn-noch- und Wären-wir-bloß-zu-Hause-geblieben-Blicke zuwerfen. Um Mitternacht gibt es Sekt auf der eiskalten Terrasse, und Christoph zündet schweigend wie jedesJahr seine fünf mitgebrachten Raketen. Wir werden uns umarmen, und Anne wird ganz schrecklich zu weinen anfangen. Warum? Weil unsere Silvesterparty im Speckgürtel wieder mal total öd geraten ist? Nein – weil ihre Kinder nicht hier sind. Ach Gott!
     
    Es ist das unausweichliche Schicksal von Eltern, irgendwann ohne ihre Kinder Silvester zu feiern. Während der Nachwuchs sich fortlaufend um neue, altersentsprechende Gesellschaft gekümmert hat, sind wir das ganze Jahr immer nur arbeiten gegangen oder haben bestenfalls ein bisschen Rückenyoga gemacht. Und so kommt es, dass wir am 31. Dezember mit anderen Müttern und Vätern beisammensitzen, die das Schicksal uns vor zehn Jahren angelegentlich einer Elternversammlung als Freunde zugeteilt hat. Die Verbindung zwischen uns, die Kinder, ist längst weg – aber wir sind nicht in der Lage, diese langweiligste Partycrowd der Welt zu verlassen und endlich die wiedergewonnene Freiheit auszukosten. Scheinbar handelt es sich um eine Art pädagogisches Stockholm-Syndrom. Spätestens um zwei Uhr liegen wir Vorstadtpärchen in unseren Betten. Mann, war das öd, sage ich zum Pubertistinnenvater und sinke in den ersten Schlaf des neuen Jahres.
     
    Und die Kinder? Die Pubertistin ist am Silvesterabend verabredet, sagt sie. Mit wem? Wo? Wozu? Wir ignorieren ihr Das-wollt-ihr-nicht-wirklich-wissen Gesicht und erfahren auf hartnäckiges Nachfragen, dass es sich bei ihrer Verabredung um Elektra und Yasmin handelt. Seit dem Sommer kennen sich die drei, aber gesehen haben wir sie noch nie.
     
    Gegen ihren entschiedenen Widerstand presse ich der Pubertistin die Adressen und Telefonnummern der beiden hippen Großstädterinnen ab und rufe ihre Mütter an. Die, stellt sich heraus, sind sehr umgänglich. Ich wollte dich eigentlich auch längst anrufen, duzt mich Elektras Mutter. Cool, duze ich zurück.
     
    Es stellt sich heraus, dass die beiden Frauen sich zwar auch Sorgen um ihre Töchter machen, aber, so Yasmins Mama, auch schon irgendwie voll das Vertrauen in sie haben. Auf meinen Einwand, dass doch an Silvester überall lebensgefährdend geballert würde, beruhigt mich Elektras Mutter: Ihre Tochter habe bei ihr im Problemviertel schon ganz andere Situationen überstanden. Ganz andere! Na, wenn das so ist, trollt sich die Kleinstadtmutter in mir ...



Mit Grauen erinnere ich mich an unseren letzten Hauptstadt-Jahreswechsel. In unserer Straße herrschte Krieg, marodierende Banden zogen durch den Ausgehbezirk und schossen mit Leuchtraketen gezielt in die Balkone der linken Biospießer. Eilig zogen wir unsere Kinder zurück in die Wohnung und wünschten uns zum ersten Mal in unserem Leben, es möge sofort eine Hundertschaft Polizei einschreiten. Die kam aber nicht, stattdessen sahen wir zu, wie ein schlecht integrierter junger Mann über die Dächer der geparkten Autos rappelte, unseres war auch darunter. Der Abend veränderte unser Leben.
     
    Das nächste Silvester feierten wir schon in diesem ruhig gelegenen Häuschen im Speckgürtel. Mit Anne und Tobias, Christoph und Ute. Birgit und Werner waren noch ein Paar. Im Nebenzimmer spielten die Kinder Nintendo. Wir aßen Mediterranes, tranken entschieden zu viel und quatschten dummes Zeug. Um zwölf gab es Sekt vor der Haustür, Tobias zündete stumm exakt fünf Raketen. Die Pubertistin, die damals noch nicht so hieß, war über ihrer Spielkonsole eingeschlafen. Wir umarmten uns und tanzten anschließend bis fünf. Um sieben Uhr morgens schlüpften wir in unsere suburbanen Betten.
     
    Heute, Jahre später, erzählen wir der Pubertistin vom Krieg, damals, in den Straßen des Ausgehbezirks. Sie verdreht die Augen, sie will einfach nur, dass wir sie ziehen lassen. Kurz erwäge ich, privat eine elektronische Fußfessel zu finanzieren, aber dann überlege ich es mir anders. Gut, sage ich, dann kommen wir halt mit. Öder als unsere Silvesterparty kann das nicht werden. Schockstarre
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