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Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)

Titel: Die Prophezeiung der Nonne: Roman (German Edition)
Autoren: Nancy Bilyeau
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hastig die Augen öffnete, sah ich, dass es zu schneien begonnen hatte. Meine Knie und Finger waren taub vor Kälte. Mühsam stand ich auf.
    Ich blickte zu der Stelle, wo er den Beutel zu Boden geworfen hatte. Er war nicht da. Ich suchte eine Weile vergeblich. Geoffrey musste ihn wieder mitgenommen haben.
    Außer mir war kein Mensch auf dem Friedhof. Die dürren Bäume warfen lange Schatten. Geblieben waren einzig die frommen Seelen jener, die das Fegefeuer durchschritten hatten und nun bei Christus und der Heiligen Jungfrau im Reich Gottes wohnten.
    Als ich mein Gebet beschloss, hatte es aufgehört zu schneien. Es war still und dämmrig auf dem Friedhof, die Nacht kamnäher. Auf dem Rückweg zum Ort ging ich schnell, um wieder warm zu werden. Als ich die High Street erreichte, war es dunkel geworden, nur wenige Menschen hielten sich noch auf den Straßen auf. Mit der Kapuze über dem Kopf hoffte ich, unerkannt zu bleiben.
    Als ich mich meinem Haus näherte, sah ich dort einen Mann mit einem großen Bündel stehen. Er schien auf mich zu warten. War er von Hantaras geschickt? Es war so töricht zu glauben, ich würde sicher sein vor diesen Leuten, die den Tod des Königs gewünscht hatten, deren verschwörerischen Plan ich vereitelt hatte.
    Ich war ganz allein, nirgends in der High Street ein Freund, an den ich mich hätte wenden können.
    »Schwester Joanna?«, rief der Fremde mir entgegen. »Ihr seid zurück?«
    »Ja?« Ich atmete tief, um mich zu beruhigen. »Kann ich Euch behilflich sein, Sir?«
    Als der Mann einen Schritt näher kam, konnte ich im Mondlicht seine Gesichtszüge erkennen. Er erschien mir bekannt – und doch auch wieder nicht.
    »Ich bin es, John«, sagte er leise.
    Er trug keinen Bart mehr, deshalb hatte ich ihn nicht gleich erkannt. Und er war sauber und ordentlich gekleidet. Zudem hatte er mich nie zuvor so gesittet angesprochen.
    »Geht es Euch gut, John?«, fragte ich vorsichtig.
    Er nickte. »Ja, Schwester. Seit kurz nach Weihnachten höre ich keine Stimmen mehr. Ich wohne jetzt bei meinen Verwandten.« Er hielt das Bündel fester. »Ich helfe beim Feuerholzsammeln, und ich gehe jeden Tag zur Messe.«
    Eine klare, sprudelnde Freude wallte in mir auf. »John, Ihr seid geheilt? Wirklich und wahrhaftig?«
    »Ja, Schwester. Alle sagen, dass es ein Wunder ist.« Doch seine Stimme klang bedrückt – traurig. »Kommt Bruder Edmund auch zurück?«
    »Das weiß ich nicht, John.«
    »Er war mein Freund«, sagte John.
    »Ja«, antwortete ich zitternd. »Thomas von Aquin hat geschrieben: Nichts auf Erden ist höher zu preisen als wahre Freundschaft .«
    Er senkte den Kopf. »Danke Euch, Schwester. Ich bete darum, dass ich Bruder Edmund bald wiedersehe.« Er wandte sich zum Gehen. Nur einen Satz sagte er noch, bevor er davonging: »Es gibt viel zu verzeihen.«
    Die Nacht war bitterkalt, doch ich blieb vor meinem Haus stehen und blickte John mit seinem Bündel Feuerholz nach, bis er mit der Dunkelheit verschmolz.

Kapitel 53
    London, 13. März 1540
    Bischof Gardiner geleitete mich über die Brücke, die den Burggraben des Tower of London überspannte. Der Wachposten winkte ihm, als wir uns dem Byward Tower näherten.
    »Exzellenz, Sir William Kingston lässt sich entschuldigen. Er leitet gerade ein Verhör«, erklärte der Mann.
    »Ich verstehe«, sagte Gardiner mit einem huldvollen Nicken.
    Die versammelten Wachen begrüßten ihn mit ehrerbietiger Verbeugung. Gardiner stand in höherem Ansehen denn je. Der König hatte darauf bestanden, dass der Bischof von Winchester während der Fastenzeit jeden Freitag vor ihm predigte. Wenn Gardiner nicht predigte, widmete er sich der Verfolgung jener Anhänger Luthers, die bei der Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Gehorsam und Ketzerei vom Weg abkamen. Wer wusste, wie lange er sich noch der Gunst des Königs erfreuen würde? Er musste die Zeit nutzen und seine überlegene Macht voll ausspielen.
    Der Beauchamp Tower war nicht weit. Seine dicken Mauern waren mir nur allzu vertraut; dieser Ort lebte auch beinahe dreiJahre nach meiner Gefangenschaft noch in meinen Träumen fort.
    Endlich brach Gardiner das Schweigen. »Es gibt Nachricht aus Gent.«
    »Ja?«, fragte ich ruhig.
    »Kaiser Karl ist am 14. Februar mit seinem Heer in der Stadt einmarschiert. Die Anführer der Revolte sind festgenommen worden – doch der Kaiser will Gnade walten lassen, wie ich gehört habe. Weniger als dreißig sollen hingerichtet werden.«
    Ich dachte an die blutrünstige Menge auf
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