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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Titus Müller
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fordert die Götter ungestraft heraus. Dachtet ihr, ihr könnt Svarožićs Augen entkommen?« Plötzlich war Nevopor wieder ernst. »Zermalmt sie.«
    Brausen wehte durch die Menge. »Die Nawyša Devka«, wisperten Tausende, »seht!« Wie die Ähren eines Feldes neigten sich die Gesichter fort vom Tempel zum Westtor hin. Ein Riß entstand im Volk, eine Gasse vom Tor zum Tempel. Sie verbreiterte sich zur Straße. An ihrem Beginn stampften die Hufe der weißen Stute. Die Sonne funkelte in der schneeweißen Mähne des Pferdes und in den silbernen Beschlägen der Zügel. Auf dem Rücken der Stute saß Alena, aufrecht, in ein strahlendes, helles Leinengewand gekleidet. »Blut«, sagte sie, »oder Friede. Ihr könnt wählen.«
    In ruhigem Schritt erklomm die Schimmelstute den Hang, unterquerte den Turm, näherte sich dem Tempel. Es war, als triebe sie die Dunkelheit vor sich her.
    »Das ist nicht die Weiße«, rief Nevopor. Auf seinen Wink hin verschwand Miesko in Richtung des Heiligen Stalls. »Es ist ein fauler Zauber. Wie bist du entkommen?Und für welchen Gott streitest du, Alena? Auch für den Christengott, wie Uvelan?«
    »Ich war auserwählt, ein Menschenopfer zu fangen für Svarožić, den Hungrigen. Aber ich habe auf dieser Reise gelernt zu lieben. Nicht nach Blut zu dürsten, sondern nach gegenseitiger Achtung.«
    In Nevopors Gesicht spannten sich die Muskeln. Der Bart bebte, die Nasenflügel zitterten. »Giftige Natter! Du willst mich schrecken?« Langsam streckte er die Arme zu beiden Seiten aus. »Mich, den Hochpriester, das Kind des dreiköpfigen, machtvollen Svarožić?« Die Ärmel des schwarzen Mantels flossen wie Flügel um seinen Körper. Unter den geschwungenen Brauen blitzten die Augen.
    »Herrschen, das kannst du. Aber kannst du auch Wärme geben? Kannst du Schwache beschützen, die Jungen lehren, Familien stärken? Deine Zeit ist abgelaufen, Nevopor. Ich habe Tollensanen kennengelernt, Obodriten, Franken und Linonen, Redarier und Kessiner. Ich kenne die Menschen. Und ich weiß, was Liebe bewirken kann. Diese Kraft ist stärker. Das kalte Rethra wird fallen, noch heute.«
    »Worte, nichts als schwache Worte. Du bist nicht mehr meine Tochter. Ich enthebe dich allen Ansehens in der Tempelburg und im Gebiet der Redarier! Du sollst als Verräterin gelten, und jeder, den du um Nahrung anflehst, soll dich schlagen.«
    Die Menge flüsterte Entsetzen.
    »Schon lange bin ich nicht mehr dein Kind. Du hast mich verloren, an dem Tag, an dem du meine Mutter erschlugst.«
    Ein Brausen. Ein Wispern und Zischen und Beben.
    »Sie lügt«, rief Nevopor.
    »Ich will fortan Uvelans Tochter sein. Er ist der wahre redarische Priester. Nimmst du mich zu deinem Kind?« Fragend richtete sie ihren Blick auf Uvelan.
    Der Alte nickte.
    »Ich bleibe die Tochter des Höchsten, die Nawyša Devka,denn Uvelan ist der Hochpriester, der dich ablöst, dich und deine blutige Herrschaft. Gibst du dich geschlagen? Im Wald vor Rethra traf ich Javor, den Obodritenfürsten. Uvelans Ergebene haben die Jahre genutzt. Es ist ein Heer zusammengestellt, das die Tempelburg vernichten wird, wenn du sie nicht freiwillig aufgibst. Sie warten auf meinen Befehl.«
    »Javor? Er würde es nicht wagen, Rethra anzugreifen. Tausende stehen bereit, es zu verteidigen. Gerade heute! Die Vorburg ist voll mit Männern. Er wäre ein Schwachsinniger, jetzt anzurücken. Darauf soll ich hereinfallen?«
    »Er bringt Sachsen mit sich. Ein fränkischer Bischof unterstützt ihn. Es muß kein Blut fließen, Nevopor. Tritt die Herrschaft ab, und der Kampf kann verhindert werden.«
    »Ein alberner Versuch, mich einzuschüchtern. Rethra ist mein Werk! Ich werfe es nicht fort, nur weil du mir drohst, nutzlose Verräterin.«
    Miesko erschien am Rand des Tempels mit dem genauen Ebenbild der Schimmelstute. Er reichte Nevopor die Zügel. »Seht ihr es nun?« rief dieser. »Sie versucht, eure Sinne zu bezaubern! Das hier ist das Pferd Svarožićs; Alena, die Verstoßene, reitet auf einem bösen Geist.«
    Wildes Raunen im Volk, Zurückweichen, Murmeln von Schutzgebeten.
    »Uvelan, Vymer.« Alena wies auf den Tempel. »Holt die Feldzeichen der Stämme heraus. Nevopor will den Krieg, und er soll ihn haben.«
    »Haltet sie auf!« befahl Nevopor. »Niemand betritt den Tempel.«
    Die Tempelgardisten schlossen den Kreis enger um die Linonen und Uvelan. Da ruckten Alenas Fersen an den Pferdekörper, und die Weiße begann zu laufen. Vor der Priestertochter wichen die Bewaffneten
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