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Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Priestertochter: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Titus Müller
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Kinn – und erstarrte. Der Puls beschleunigte sich, sie duckte sich leicht, schluckte. Ängstlich spähte sie zum Altar hinüber, zur Felsplatte. In Alenas Ohren sang es, ein hoher, feiner Ton. Nichts. Kein Schatten mehr, keine Augen. Sie suchte die Wächterstatuen ab. Keiner der übermenschengroßen, dünnen Geister fehlte. Ihre Blicke aber schienen sie ungeduldig zu verfolgen.
    Was war das gewesen? Welcher Geist war um den Altar gehuscht, hatte sich darunter verborgen und sie aus seinen blutrünstigen Augen angestarrt? Mit zitternden Knien schlich sie näher heran. Als ein feines Stimmchen unter der Felsplatte hervorkroch, erschauderte sie.
    »Bitte, komm nicht näher.«
    »Wer bist du?« flüsterte sie.
    »Ich bins, Golek. Wenn mein Bruder mich findet, dreht er mir den Hals um.«
    Erleichtert lockerte sie die Schultern, atmete aus. »Du hast mich erschreckt.« Sie lächelte. Golek ängstigte sie, mit seinen fünf Jahren! Bald würde sie selbst einen Sohn haben wie ihn.
    »Geh weg, du verrätst mich.«
    »Hör zu, Süßer, du kannst dich nicht unter dem Altar verstecken. Stell dir vor, dein Vater sieht dich dort! Kinder haben so nah beim Tempel nichts zu suchen.«
    »Lieber laß ich mich verprügeln, als daß Cozilo mich kriegt.«
    Cozilo dröhnte über den Hof. »Golek!« Es war der rauhe Kehlton eines Betrunkenen.
    »Rühr dich nicht.« Alena entfernte sich einige Schritte vom Altar, dann rief sie: »Was hat er denn verbrochen?« Sie gab ihrer Stimme einen spöttischen Beiklang.
    Augenblicklich änderte sich Cozilos Haltung. Die Arme schienen nicht recht zu wissen, wie sie herabhängen sollten, und ein verlegenes Grinsen huschte über das breitschädlige Gesicht. »Hast du ihn gesehen?« lallte er.
    »Der große Bruder auf der Suche nach dem kleinen. Das ist ja wie in einer dieser Geschichten, die im Winter vor dem Ofen erzählt werden. Ist er weggelaufen?«
    »Ach, das … Das ist nicht weiter …« Er trat von einem Bein auf das andere. »Sag mal, Alena, möchtest du vielleicht mit mir, wenn das Fest vorüber ist, einmal auf den See rausfahren, einfach zum Angeln, ich rudere, und du hältst die Rute?«
    »Bedaure.«
    »Ich kann auch die Rute halten, wenn du –«
    »Sag mal, läuft nicht Golek gern unten bei den Ställen herum? Aber in der Vorburg bei den Feiernden hast du sicher schon nachgesehen.«
    Cozilo kratzte sich die Nase, dann das Genick. »Ich gehe mal. Überlege dir das mit dem Angeln. Ich glaube, dein Vater würde es sehr gerne sehen.«
    Sie sah ihm nach, wie er zwischen den Häusern zum Torturm trottete, wartete, daß der Schlagschatten des Tores ihn verschlang. »Nicht mehr«, flüsterte sie. Dann schlich sie zurück zum Altar. »Hab dich gerettet, Kleiner.«
    Ein Knäuel aus winziger Hose und winzigem Hemd krabbelte hervor. Fest drückte sich ein rundes Gesicht an ihr Bein. »Danke.«
    Sie lachte, streichelte Goleks Schopf. »Und jetzt schnell, verbirg dich hinter eurem Haus. Da wird er ganz zum Schluß suchen. Was hast du denn getan?«
    »Ich habe seinen Gürtel im Garten vergraben. Er hat gesagt,wenn er den Gürtel nicht gleich wiederfindet, dann bringt er mich um. Weil er nicht tanzen kann ohne.«
    »Du hast
was
?« Alena ging vor dem Fünfjährigen in die Hocke und sah ihm erstaunt ins Gesicht. »Den gräbst du aber rasch wieder aus und säuberst ihn, hast du mich verstanden? Sonst macht Cozilo am Ende seine Drohung wahr.«
    »Ist gut.« Golek lief so schnell auf die Häuser zu, daß Alena fürchtete, er würde jeden Augenblick lang hinschlagen.
    Mit einem Kopfschütteln wandte sie sich wieder dem Seetor zu. Knapp nickte Witzan ihr zu, der dort wachte. Er gehörte zu Mstislavs Truppe.
    Sie tauchte ein in die Dunkelheit unterhalb des Turms, trat auf der anderen Seite wieder ins Tageslicht, und blieb stehen. Tief unter ihr, am Fuß des Hangs, breitete sich der Lucinsee aus, umrahmt vom Wald, die Seefläche am diesseitigen Ufer durchstochen von den Pfählen der Fischreusen. Zur Linken des steilen Pfads, der hinabführte, war der Hang mit Granitblöcken verkleidet. Das Bild, das sich Alena unten bot, ließ sie innehalten.
    Einige Frauen wuschen Wäsche im See. Sie tauchten die Kleider vor ihren Knien in das flache Wasser, kneteten sie, rieben den Schmutz heraus, hoben sie hoch und tunkten sie wieder ein. Neben ihnen stand ein Kessel am Ufer, an dessen Boden Feuerflammen züngelten; eine Frau rührte darin. Sie kochte wohl Seife aus Asche und Tierfett. Der stinkende Qualm, der sich aus dem Kessel
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