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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin
Autoren: Elizabeth Mittler
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Kaufleuten der Stadt, unter denen sich auch der soeben aus dem Orient zurückgekehrte Gewürzhändler Kniebis befunden hatte, fühlte er sich unwohl. In der Nacht hatte er sich mehrmals übergeben müssen. Doch auf einmal war ihm, als läge er auf einem glühenden Rost. Wellen der Übelkeit durchliefen ihn. Er riss sich zusammen und fragte mit matter Stimme: „Und meine Frau … ist sie …?“ Ein Schwindelgefühl ergriff ihn, und er musste sich an der Lehne des geschnitzten Stuhles, in dem er saß, festhalten.
    „Ist Euch nicht gut?“, fragte Hedwig besorgt. Als der Freiherr nicht antwortete, fuhr sie fort: „Nun, Eure Gemahlin ist recht schwach. Die Niederkunft hat sie sehr mitgenommen. Nur gut, dass das Fieber zuvor gewichen ist, sonst hätte sie die vielen Stunden der Wehen wohl nicht überstanden. Wenn ihre Schwester, gepriesen seien alle Heiligen, ihr nicht beigestanden hätte …“, schnell schlug die gottesfürchtige Hedwig ein Kreuz, „… wer weiß, ob Eure Gemahlin … sie ist doch noch so jung und zart, aber sie lebt.“ Ungeachtet des bleichen Gesichtes ihres Dienstherrn plapperte sie weiter: „Alsbald werde ich im Münster eine Kerze für sie und die Kleine entzünden.“ Sie knickste und wiederholte: „Kommt, schaut Euch das Töchterchen an, das die Herrin Euch geschenkt hat.“
    Heinrich griff sich an den eng gefältelten Kragen, der ihm die Kehle zuzuschnüren schien. „Wohlan denn, Hedwig, geleite mich zur Kammer meiner Frau.“ Ächzend erhob er sich aus dem Scherenstuhl, und sogleich verschwamm der ganze Raum vor seinen Augen – die geschnitzten Regale mit den ledernen Folianten schienen einen wilden Tanz vor seinen Augen aufzuführen. Die Flammen der Kerzen in den versilberten Leuchtern glichen einem wahren Feuermeer. Als er den Blick auf die von frommen Nonnen des Klosters bestickte Tapisserie richtete, kam es ihm vor, als seien die Heiligen zu Dämonen geworden, sprängen von dem Wandteppich und näherten sich ihm leibhaftig.
    Oh, heilige Muttergottes, ist dies die Pest, eine neue Seuche oder eine andere Plage, die der Herr uns zur Prüfung geschickt hat …
    Erneut durchliefen ihn Wellen der Übelkeit und der Hitze, heißer als der Schlund der Hölle. Er schwankte und sank mit einem dumpfen Stöhnen zu Boden.

1. KAPITEL
    Burg Eschenbronn in der Nähe von Freiburg
    W ie schon so oft in den letzten Nächten erwachte Leonor schweißgebadet aus dem immer gleichen Albtraum. In düsteres Schwarz gekleidete Gestalten, den Kopf und das Gesicht von spitzen Kapuzen verhüllt, zogen einen Karren, auf dem unter Säcken seltsam verkrümmte Körper lagen – allesamt Männer und ein kleines Kind …
    Nicht einmal im Schlaf war es ihr vergönnt, gnädiges Vergessen zu finden. Und warum, so fragte sie sich wieder einmal gequält, sollte mir auch die Gnade des Vergessens gewährt werden, trage ich doch an allem die Schuld.
    Tot!
    Tot der geliebte Mann! Dahingerafft in der Blüte seiner Jahre.
    Tot auch der kleine Konradin, für den sie freudig ihr Leben gegeben hätte!
    Heiße Tränen traten ihr in die Augen, und sie schluchzte so laut, dass Anna, die am Fußende des Bettes auf einer Pritsche schlief, erwachte.
    „So beruhigt Euch doch, liebe Herrin. Es geschieht alles nach dem Willen und Plan unseres allmächtigen Schöpfers.“ Ächzend erhob sie sich von ihrem Lager und setzte sich neben die Verzweifelte.
    Die leise, beruhigende Stimme ihrer Kammermagd drang kaum an ihr Ohr. Nur das sanfte Streicheln Annas, die ihr bereits viele Jahre auf der Burg ihres Vaters gedient hatte, linderte ein wenig den Schmerz, der sie zu zerreißen drohte.
    Es ist alles meine Schuld!
    Wieder und wieder hallten die Worte durch ihren gemarterten Kopf.
    Tot!
    Der Gemahl, der gerade einmal dreiundzwanzig Sommer hatte erleben dürfen.
    Tot!
    Ihr gemeinsamer Sohn, das Licht ihres Lebens, dem kaum zwei Jahre auf dieser Welt beschieden waren.
    Ein Klagelaut, wie Anna ihn noch nie zuvor gehört hatte, entrang sich der Kehle ihrer jungen Herrin. Tröstend strich sie ihr über die schweißfeuchte Stirn. Dann wandte sie sich kurz ab und nahm einen Becher, den sie zuvor auf der Eichentruhe bereitgestellt hatte.
    „Trinkt, mein liebes Kind. Ich habe Euch ein Pulver in den Würzwein getan. Das wird Euch beruhigen und Euch ein wenig Schlaf spenden.“ Sorgsam hielt sie den Becher mit dem lindernden Trank an die trockenen Lippen ihrer Herrin.
    Doch Leonor wehrte sie ab. „Ich darf nicht schlafen, Anna“, flüsterte sie. „Ich
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