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Die Pilgergraefin

Die Pilgergraefin

Titel: Die Pilgergraefin
Autoren: Elizabeth Mittler
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war ihr nur so wenig Zeit beschieden gewesen? Tränen traten ihr in die Augen, als ihr wiederum bewusst wurde, dass sie selbst diejenige war, die diesem Glück ein so jähes, schmerzvolles Ende gesetzt hatte.
    Warum, oh warum nur habe ich Konrad bedrängt, mit mir in die Stadt zu reiten und den Kleinen mitzunehmen? Wohl zum hundertsten Male marterte diese Frage ihr Herz.
    „Wie lautet deine Antwort?“ Ungeduldig trat Lothar von einem Fuß auf den anderen.
    Bei dieser Bewegung fiel Leonor trotz ihres Kummers auf, dass er neues Schuhwerk trug – mit lang aufgebogenen Spitzen, an denen Troddeln befestigt waren. Sie deutete auf einen Scherenstuhl zu ihrer Rechten. „Nimm Platz, Schwager, und auch Ihr, Kaplan, setzt Euch. Im Sitzen spricht es sich ruhiger.“ Sie wies auf einen Hocker. „Anna, bringe den Herren eine Erfrischung“, ordnete sie, noch immer ganz Herrin der Burg, an.
    Die Kammermagd knickste und verließ die Kemenate.
    Mit ungelenken Schritten, fast über die Spitzen seiner neumodischen Schnabelschuhe stolpernd, begab Lothar sich zu dem ihm angebotenen Stuhl.
    Der Burgkaplan, der dem Wein nicht nur zur Messe zusprach und dem ein fetter Kapaun und ein Pokal süßen Rheinweins über alles gingen, sofern zu seinem Leidwesen nicht gerade Fastenzeit war – watschelte zu dem Hocker, ließ sich darauf plumpsen und freute sich auf den Imbiss, der hoffentlich bald serviert werden würde.
    Lothar flegelte sich in den Scherensessel und befingerte dabei seine neue Schecke, die er sich gleich nach Konrads Tod von Meister Ulrich, dem besten Tuchschneider Freiburgs, hatte anfertigen lassen. Trotz der vorsichtigen Einwendungen des Mannes hatte er darauf bestanden, dass dieses modische Kleidungsstück so kurz geschnitten wurde, dass es kaum sein Gemächt bedeckte, sodass dem Betrachter die Ausbuchtung in seinen farbenprächtigen Beinlingen nicht entgehen konnte. Dass besagte Ausbuchtung nicht besonders imposant war, war ihm offenbar nicht bewusst. Eitel blickte er nun an seinen Beinlingen hinab, nicht bemerkend, dass sie seinen dürren Waden, die nicht zu seinem übrigen gedrungenen Leib passten, nicht eben schmeichelten.
    „Nun, Schwägerin“, wiederholte er ungeduldig. „Wann wirst du ins Kloster gehen? Die Äbtissin erwartet dich bereits.“
    Trotz ihres Kummers und ihrer Trauer verzog Leonor spöttisch die Lippen. Oh ja, Hildegardis von Fronholtz rieb sich wahrscheinlich bereits die Hände in Erwartung der wohlgefüllten Truhen mit ihrer Mitgift, die sie als Gräfin von Eschenbronn den Benediktinerinnen von St. Odilia einbringen würde. Doch obwohl sie tief an der Schuld litt, die sie auf sich geladen hatte, erschien ihr die Aussicht, den Rest ihres Lebens – und es mochte noch viele Jahre zählen – hinter den düsteren Mauern des Klosters unter dem Regiment der gestrengen Oberin verbringen zu müssen, schier unerträglich.
    „Verehrter Schwager“, hob sie an, „nur kurze Zeit ist vergangen, seit …“
    Mit einer ungeduldigen Geste unterbrach Lothar sie. „Das ist mir wohl bekannt. Doch ich verstehe dein Zögern nicht. Welche Wahl bleibt dir sonst? Es ist allgemein üblich, dass sich die Witwe eines adligen Herrn in ein Stift zurückzieht. Es sei denn …“
    Pater Ferfried nickte zustimmend und ließ dann den Blick zum wiederholten Male in der Hoffnung zur Tür gleiten, Anna möge alsbald mit dem Imbiss auftauchen.
    „Es sei denn, eine günstige Vermählung, die dem Wohle der Familie dienlich ist, stünde nach der angemessenen Trauerzeit an“, verkündete Lothar und wandte sich dem Pater zu, um eine Bestätigung von ihm zu erheischen.
    Trotz der angenehmen Wärme im Raum fröstelte Leonor. Was für eine Wahl! Entweder eingesperrt hinter Klostermauern oder einem Gemahl untertan zu sein, den sie sich nicht aussuchen durfte, den Lothar ihr präsentieren würde …
    Dass sie ein zweites Mal einen Gatten finden würde, der ihr und dem sie in zärtlicher Liebe zugetan war, daran glaubte sie nicht. Und auf der Burg ihres Vaters gab es keinen Platz mehr für sie, nachdem diesen kurz vor ihrer Niederkunft der Schlag getroffen hatte. Marodierende Söldner hatten ihn und seinen kleinen Tross im Wald überfallen, die Knappen erschlagen, die Pferde und Waffen geraubt und den Vicomte liegen gelassen, in der Annahme, er wäre tot. Erst einen Tag später war er gefunden worden und in den Armen seiner Gemahlin verschieden. Der Tod ihres Gatten hatte der Vicomtesse de Guiémar das Herz gebrochen. Nun fristete sie
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