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Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks
Autoren: Gert Prokop
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gelogen ist«, sagte sie,
    »ich höre es gern. Sei vorsichtig, ja?«
    »Bist du noch Jungfrau?«
    »Nein. Trotzdem…«
    Er hatte kein Verlangen, sich auf sie zu stürzen, 379
    obwohl er schon seit Wochen mit keiner Frau mehr geschlafen hatte, er wollte sie streicheln, küssen, in den Armen halten, sie an sich drücken und trösten.
    Welch ein Mädchen. Welch eine Zeit. Er hatte Angst, daß Luigi Krach schlagen könnte, weil er nicht auf seinem Strohsack lag, daß ein erneuter Alarm sie wieder auseinanderreißen würde, daß sie töten müß-
    ten statt sich zu lieben, aber die Stille der Nacht, diese unglaublich friedliche Stille des Tals wurde nicht zerrissen. Wem die Stunde schlägt, dachte er. War dies die Stunde seines Lebens? Verhieß sie Leben oder Tod?
    »Ich liebe dich«, sagte er, und er wiederholte es immer wieder. Nicht aus Angst. Nicht um sein Leben zu retten. Keine Spur von Berechnung, von Heuche-lei war in seinen Gedanken. Lieber sterben, als ohne sie leben zu müssen. Wenn Leben überhaupt noch einen Sinn hatte, dann hier und mit ihr.
    Und wenn er sterben mußte, dann hatte er wenigstens noch erlebt, was Liebe war.
    »Jonas«, sagte sie leise, »heißt das nicht, der Verlorene?«
    »Jetzt bin ich nicht mehr verloren. Und du nicht länger einsam, oder?«
    Sie antwortete nicht, sie ließ ihre Fingerspitzen über seine Brust, seinen Hals, seine Lippen streichen.
    »Komm.«
    Irgendwann setzte sie sich erschrocken auf, sah 380
    zum Fenster, der Tag schickte bereits einen hellen Schimmer ins Tal.
    »Du mußt jetzt gehen.«
    »Ich will nicht. Nie mehr, hörst du?«
    »Du darfst morgen abend wiederkommen. Heim-
    lich, ja? Wir müssen so tun, als wäre nichts zwischen uns, versprichst du es mir?«
    »Wie kann ich das?«
    »Du mußt. Versprich es, bitte.« Ein Flehen lag in ihrer Stimme.
    Sie sahen sich lange in die Augen.
    »Gut, versprochen.«
    »Schwöre!«
    »Ich schwöre es.« Er stand auf, zog sich an, dann erschrak er.
    »Aber Luigi«, sagte er.
    »Ich spreche mit ihm. Luigi ist mir völlig ergeben.
    Er wartet draußen.«
    »Vor der Tür?« fragte Jonas erstaunt.
    Sie lachte. »Er ist dir die ganze Zeit gefolgt.«
    Sie verabschiedeten sich mit einem langen Kuß.
    »Glaube mir«, sagte sie, »ich lasse dich ungern gehn. Es war schön.«
    »Hat die Erde gebebt? Du erinnerst dich doch an die Szene in ›Wem die Stunde schlägt‹?«
    »Ich habe die Glocken von San Marco gehört«, sagte sie lächelnd. »So heißt es bei Petrarca.«
    381
    In alle Ewigkeit…

    »From dawn to dawn in all eternity…« O'Neill sang es lauthals zu der Melodie des alten Kinderliedes von den drei rosa Teddybären: von Morgenröte zu Morgenröte, in alle Ewigkeit. Eve hatte das geschrieben, damals war sie noch auf dem College und hoffte, einmal eine große Dichterin zu werden. Vielleicht war sie es geworden? Wie lange war das nun her?
    Siebzig Jahre. Nein, zweiundsiebzig, du meine Güte.
    »Ja«, sagte er, »hundert Jahre sind genug.« Er brüllte es noch einmal, so laut er konnte, gegen das Summen des Rotors, der in dieser Höhe hörbare Schwierigkeiten mit der dünnen Atmosphäre hatte.
    »Vielleicht auf der Erde«, sagte er, »wer weiß?
    Ach was, Pat, du bist nicht auf der Erde, du bist hier auf dem Antair, und so soll es auch bleiben.«
    Er sprach immer laut mit sich selbst. Er war nur überrascht, als die FREMDEN ihn fragten, warum er so schrie; er hatte nicht mitbekommen, wie sein Ge-hör mit den Jahren nachließ.
    Seit er allein war, sprach er laut mit sich. Um wenigstens eine Stimme zu hören. Um nicht verrückt zu werden. O'Neill kicherte. Vielleicht war er längst verrückt? Ein Sonderling war er gewiß, ein Spleeny, wie man sie seinerzeit in Oxford genannt hatte. Er 382
    stimmte »Merry Old England« an. Wie ging das Lied weiter? Vergessen. Wie so vieles. Manchmal fluchte er, weil er so vieles vergessen hatte, quälte sich, irgendeine Erinnerung doch noch aus den Tresoren seines Gedächtnisses hervorzuholen. Als ob es wichtig wäre, sich zu erinnern.
    »Ja«, korrigierte er sich, »es ist wichtig, die Erinnerung unterscheidet den Menschen vom Tier.« Oder auch nicht?
    Doch, er bestand darauf. Auch, oder weil er zu-nehmend Schwierigkeiten hatte, sich an den vergangenen Tag zu erinnern. Dafür verblüffend klar an seine frühe Kindheit, an Dinge, die ihm seit Jahr-zehnten entfallen waren, das Muster der Tapete in seinem Kinderzimmer zum Beispiel, oder den Geruch von Mutter, wenn sie sich über sein Gitterbett
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