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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin
Autoren: Gertrud Höhler
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gebracht haben. Wertemanagement à la Merkel ist ein Business für Erfolgreiche, die sich entschieden haben: Interessenlage schlägt Wertesystem. Immer.
    Die Karriere der Angela Merkel im Westen ist nicht eine Einstiegs-, sondern eine Ausstiegsgeschichte. Auf leisen Sohlen verlässt die Kanzlerin unseren Grundwertekonsens.
    Da sie die Macht hat, ist das doch mehr als nur ein Moderationserfolg.
    Mit Angela Merkel kommt der Typus des Ego-Politikers auf die politische Bühne. Die seien doch alle mit einem Riesenego unterwegs, mag mancher jetzt sagen. Aber die Ego-Politikerin Merkel macht den Unterschied. Keiner ihrer Kollegen und Vorgänger hat das Tableau seiner Themen so entschieden unter eine einzige Prämisse gestellt – den persönlichen Machtzuwachs – wie Angela Merkel.
    Keiner hat so zynisch die oppositionellen Lager ausgeräumt wie sie, keiner hat es zu einem Image gebracht, das die deutsche Kanzlerin begleitet: Alles ist möglich. Nichts ist ausgeschlossen. Die Ego-Karriere rangiert in jedem Fall vor dem Wohl des Landes und vor Europa. Noch kein deutscher Staatschef hat so kompromisslos die Rangfolge seiner politischen Ziele immer wieder umgeworfen und neu sortiert – um den einen Mittelpunkt, das eigene Ich.
    Ein so egomanischer Politikstil lässt sich nur durchhalten, wenn er schwer lesbar bleibt. Die Kanzlerin der Volten hat ihr Publikum und ihre Entourage an unverhoffte Richtungswechsel gewöhnt. Keiner ihrer Mitarbeiter würde eine Wette wagen, wenn es darum geht, wo man die Kanzlerin morgen antrifft. Das System M ist nicht berechenbar. Die schwer lesbare Kanzlerin lebt tendenziell immer undercover . Ihr Ego-Projekt ist ihr Geheimnis.
    Sie ist auch die erste Staatschefin in Deutschland, die bindungslos unterwegs ist. Ihr Konzept der situativen Entscheidungen geht von der Flüchtigkeit aller Versprechen und der hohen Verfallsgeschwindigkeit allerLoyalitäten aus. Wer sich auf niemanden verlassen will, landet zwangsläufig bei sich selbst. Vielleicht sieht Angela Merkel es so: Sie hatte keine Wahl. In einer Welt, wo jeder jeden verrät, kann man nur auf Kosten aller andern das eigene Glück suchen.
    Die in ‹Euro-Krise› umgetaufte Staatsschuldenkrise Europas bietet für das Tarnkappensolo der Ego-Politikerin das ideale Szenario. «Die Germanisierung Europas macht rasche Fortschritte», schreibt die Neue Zürcher Zeitung schon am 27. November 2011. 214
    «Merkel hat erkannt, dass Deutschland seine Interessen nicht direkt in den Hauptstädten der europäischen Krisenstaaten anmelden und durchsetzen kann. Die Demonstranten, die im Frühjahr in Athen Milliarden-Kompensationen für die Greueltaten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg forderten, waren ihr da Warnung genug.»
    Die Kanzlerin setzt auf Entschleunigung, um ihr Langfristziel, die Vorherrschaft in Europa, nicht zu gefährden. «Too little, too late», ruft der Chor der Marktbeobachter ihr regelmäßig zu, wenn sie wieder einmal durch langes Zögern einen Geldtransfer in die Last-minute -Zone geschoben hat. Optisch bleibt sie damit die Herrin des Geschehens, auf die alle schauen. In Wahrheit ist ihr Zögern machtpolitisches Kalkül. «Sie erzeugt dadurch ein Klima der Krise, um dann schließlich ein Stück weit nachzugeben – eben: ‹too little, too late›. Aber sie bestimmt jeweils den Preis dafür, der umso größer ist, je stärker die Furcht der andern vor der Katastrophe.» 215
    «Ihr geht es nicht um das kurzfristige Monetäre, ihr geht es um das langfristige Politische. Deswegen betont sie immer wieder, dass die Euro-Krise noch Monate, gar Jahre dauern könnte – ebenso lange, bis sie ihre Ziele erreicht hat.»
    «Was uns zu ihrem Plan bringt», fährt der Autor des NZZ-Artikels fort. Er meint, die Kanzlerin habe, was ihre Langzeitplanung angeht, «aus ihrem Herzen nie eine Mördergrube gemacht». Ihr Diktum «mehr Europa, nicht weniger Europa» zu wollen, klang für das Publikum immer wie ein Bekenntnis, dem jedermann zustimmen kann.
    Es ist einer jener offenen Merkel-Sätze, die sich multifunktional jeder Deutung fügen. Wer eine Europäerin zu sehen wünscht, kann sich mit diesem Merkel-Satz den Wunsch erfüllen. Wer näher und geduldiger hinsieht, kennt den verschwiegenen nächsten Satz: «Aber es soll ein Europa unter deutscher Führung sein», schreibt die NZZ und folgert: «Deshalb arbeitet sie auf die politische Union hin, die ihr den Durchgriff auf die inneren Verhältnisse der EU-Mitgliedsländer vor allem in Süd- und Osteuropa
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