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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin
Autoren: Aufbau
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vor Zorn und Enttäuschung mit dem Fuß auf, als
     sie den Griffel nicht in die gewünschte Richtung führen konnte.
    »Langsam, kleine Schwester, langsam«, beruhigte Matthias sie. »Du bist erst fünf. In diesem Alter ist es nicht so leicht,
     schreiben zu lernen. Ich kann mich gut daran erinnern; ich habe auch mit fünf Jahren angefangen. Laß dir Zeit, dann geht es
     zum Schluß ganz wie von selbst.«
    Am nächsten Tag stand Johanna sehr früh auf und ging nach draußen. In der weichen Erde um den Viehpferch herum malte sie mit
     dem Finger immer wieder bestimmte Buchstaben, bis sie sicher war, es richtig gemacht zu haben. Dann rief sie stolz Matthias
     zu sich, damit er ihr Werk bewundern konnte.
    »Oh! Das ist sehr gut, kleine Schwester! Wirklich, ich muß schon sagen, daß du …« Abrupt hielt er inne und murmelte schuldbewußt:
     »Aber wenn Vater das hier sieht, wird es ihm ganz und gar nicht gefallen.« Mit der Schuhsohle glättete er die Erde und verwischte
     die Buchstaben, die Johanna geschrieben hatte.
    »Nein, Matthias! Nein!« Johanna versuchte, ihren Bruder fortzuziehen. Von dem Lärm gestört, begannen die Schweine mit einem
     Grunzkonzert.
    Matthias beugte sich herunter, um die Schwester zu umarmen. »Mach dir nichts draus, Johanna. Sei nicht traurig.«
    Sie fing an zu weinen. »Ab-aber du hast ge-gesagt, daß meine Bu-buchstaben schön sind!«
    »Das sind sie auch.« Matthias mußte staunen,
wie
schön sie waren. Schöner als die seines Bruders Johannes, und der war drei Jahre älter als die kleine Schwester. Wäre Johanna
     kein Mädchen gewesen, hätte Matthias ihr gesagt, daß sie eines Tages ein guter Schreiber werden könne. Aber es war besser, |28| einem Kind keine derart wirren Gedanken in den Kopf zu setzen. »Ich konnte die Buchstaben nicht stehen lassen, weil Vater
     sie nicht sehen darf. Deshalb hab’ ich sie fortgewischt.«
    »Wirst du mir noch mehr Buchstaben beibringen, Matthias?«
    »Ich habe dir schon mehr gezeigt, als ich dir hätte zeigen sollen.«
    »Bitte!« bettelte sie, und in ihren graugrünen Augen schimmerten Tränen. »Vater wird’s schon nicht herausfinden. Ich werde
     es ihm nie erzählen, ich versprech’s. Und wenn ich fertig bin, werde ich die Buchstaben ganz gründlich fortwischen. Ja?« Sie
     blickte ihm in die Augen und wünschte sich ganz fest, er möge zustimmen.
    Mit reuevoller Erheiterung schüttelte Matthias den Kopf. Seine kleine Schwester war hartnäckig; das mußte man ihr lassen.
     Er wischte ihr eine Träne von der Wange. »Also gut«, willigte er ein. »Aber denk daran. Wir müssen das Geheimnis für uns behalten.«
     
    Bald darauf wurde es eine Art Spiel zwischen ihnen beiden. Sobald sich die Gelegenheit bot – was längst nicht so oft der Fall
     war, wie Johanna es sich gewünscht hätte –, zeigte Matthias ihr, wie man Buchstaben in den Boden zeichnete. Johanna war eine
     eifrige Schülerin, und wenngleich er sich der möglichen Folgen bewußt war, konnte Matthias sich ihrer Begeisterung nicht entziehen.
     Auch er liebte das Lernen, und Johannas Eifer rührte ihm das Herz.
    Doch selbst er war schockiert, als Johanna eines Tages mit der riesigen, in Holz gebundenen Bibel zu ihm kam, die dem Vater
     gehörte.
    »Was tust du da?« rief er. »Bring das Buch zurück! Du hättest es niemals anrühren dürfen!«
    »Bring mir das Lesen bei.«
    »Was?«
Ihre Hartnäckigkeit war erstaunlich. »Also wirklich, kleine Schwester, jetzt verlangst du aber zuviel von mir.«
    »Warum?«
    »Na ja … zum einen ist das Lesen sehr viel schwieriger, als bloß das Abc zu lernen. Ich bezweifle, daß du es jemals schaffen
     wirst.«
    »Warum sollte ich’s nicht schaffen? Du hast es doch auch geschafft.«
    Er lächelte nachsichtig. »Ja. Aber ich bin ein Mann.« Das |29| stimmte allerdings nicht ganz, denn Matthias war nicht einmal dreizehn Jahre alt. Aber in gut einem Jahr, wenn er vierzehn
     wurde, würde er wirklich ein Mann sein. Doch es gefiel ihm, diesen Anspruch jetzt schon zu erheben. Außerdem kannte seine
     kleine Schwester den Unterschied sowieso nicht.
    »Ich
kann
es schaffen. Ich weiß, daß ich’s kann.«
    Matthias seufzte. Diese Sache würde ihm noch Kopfzerbrechen bereiten. »Es ist nicht nur die Frage, ob du es schaffen kannst,
     Johanna. Es ist gefährlich, und wider die Natur, daß ein Mädchen lesen und schreiben kann.«
    »Die heilige Katharina konnte es auch. Der Bischof hat’s in seiner Predigt gesagt, erinnerst du dich nicht? Er sagte, sie
    
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