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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin
Autoren: Aufbau
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wurde ihrer Weisheit und ihrer Gelehrsamkeit wegen geliebt.«
    »Das ist etwas anderes. Sie war eine Heilige. Du bist bloß ein … Mädchen.«
    Daraufhin schwieg Johanna. Matthias war froh, bei ihrem kleinen Disput so leicht und rasch gesiegt zu haben; er wußte, wie
     dickköpfig seine Schwester sein konnte. Er streckte die Hand nach der Bibel aus.
    Johanna wollte sie ihm gerade reichen, als sie die Hand plötzlich wieder zurückzog. »Warum ist Katharina eine Heilige?« fragte
     sie.
    Matthias hielt inne, die Hand noch immer nach der Bibel ausgestreckt. »Sie war eine Märtyrerin, die für den Glauben gestorben
     ist. Der Bischof hat’s in seiner Predigt gesagt, erinnerst du dich nicht?« Er konnte nicht widerstehen, ihr wie ein Papagei
     nachzuplappern.
    »Warum hat man sie zu Tode gemartert?«
    Matthias seufzte. »Sie hat Kaiser Maxentius und fünfzig seiner klügsten Philosophen bei einem Streitgespräch besiegt, indem
     sie durch eine unwiderlegbare Argumentation bewiesen hat, daß ihr Entschluß rechtens war, sich vom Heidentum abzukehren und
     Gott als den Schöpfer der Welt und Christus, seinen Sohn, als Erlöser anzuerkennen. Dafür wurde sie bestraft. Und jetzt komm,
     kleine Schwester, gib mir das Buch.«
    »Wie alt war Katharina, als sie das getan hat?«
    Was für seltsame Fragen dieses Kind stellte! »Ich möchte jetzt nicht mehr darüber reden«, sagte Matthias verärgert. »Gib mir
     jetzt endlich das Buch!«
    Sie wich zurück und drückte die Bibel fest an sich. »Katharina war alt, als sie nach Alexandria gegangen ist, um mit den |30| klügsten Philosophen des Kaisers ihr Streitgespräch zu führen, nicht wahr?«
    Matthias fragte sich, ob er ihr das Buch entwinden sollte. Nein, lieber nicht. Dabei könnte sich der zerbrechliche Einband
     lösen. Und dann steckten sie beide in größeren Schwierigkeiten, als ihnen lieb sein konnte. Da war es schon besser, weiter
     zu reden und Johannas Fragen zu beantworten, so dumm und kindisch sie auch sein mochten, bis Johanna des Spiels müde war.
    »Sie war dreiunddreißig, hat der Bischof gesagt. Genauso alt wie Jesus Christus bei der Kreuzigung.«
    »Als die heilige Katharina den Kaiser besiegte – wurde sie da für ihre Gelehrsamkeit schon so sehr bewundert, wie der Bischof
     gesagt hat?«
    »Offensichtlich«, erwiderte Matthias herablassend. »Wie sonst hätte sie die klügsten Männer des ganzen Landes bei einem solchen
     Streitgespräch übertrumpfen können?«
    »Dann«, Johannas kleines Gesicht strahlte vor Triumph, »muß sie das Lesen gelernt haben,
bevor
sie eine Heilige wurde. Als sie bloß ein Mädchen war. So wie ich!«
    Für einen Moment war Matthias sprachlos, hin und her gerissen zwischen Zorn und Erstaunen. Dann lachte er laut. »Du kleiner
     Teufelsbraten!« sagte er gutmütig. »Darauf also wolltest du hinaus. Ich muß schon sagen, du hast ein beachtliches Talent,
     Diskussionen zu führen, das steht fest.«
    Da gab sie ihm die Bibel und lächelte erwartungsvoll.
    Matthias nahm ihr das Buch aus der Hand und schüttelte den Kopf. Was für ein seltsames Wesen sie war. So wißbegierig, so entschlossen
     und so selbstsicher. Sie war ganz anders als Johannes und alle Kinder, denen er je begegnet war. In ihrem Kleinmädchengesicht
     strahlten die Augen einer weisen alten Frau. Kein Wunder, daß die anderen Mädchen im Dorf nichts mit ihr zu tun haben wollten.
    »Also gut, kleine Schwester«, sagte er schließlich. »Heute fängst du an, das Lesen zu lernen.« Er sah die freudige Erwartung
     in ihren Augen und beeilte sich, ihre Vorfreude zu dämpfen. »Aber erhoffe dir nicht zuviel. Es ist viel schwieriger, als du
     glaubst.«
    Johanna warf dem Bruder die Arme um den Hals. »Ich hab’ dich lieb, Matthias.«
    Matthias befreite sich aus ihrer Umarmung, schlug das Buch auf und sagte schroff: »Hier fangen wir an.«
    |31| Johanna beugte sich über das Buch und nahm den durchdringenden Geruch nach Pergament und Holz wahr, als Matthias auf den Absatz
     zeigte. »Das Evangelium des Johannes, Kapitel eins, Vers eins.
In principio erat verbum et verbum erat apud Deum et verbum erat Deus.
– Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott …«
     
    Der Sommer und Herbst dieses Jahres waren mild und fruchtbar; die Ernte war die beste, die es seit Jahren im Dorf gegeben
     hatte. Doch an Heilagmanoth fiel Schnee, und in eisigen Böen wehte ein kräftiger Wind aus dem Norden. Wieder wurde das Fenster
     des Grubenhauses zum Schutz
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