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Die Opfer des Inzests

Die Opfer des Inzests

Titel: Die Opfer des Inzests
Autoren: Nathalie Schweighoffer
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Mutter ein.«
    Der kleine Mann bricht zusammen, weint,
gesteht, den Fehler seines Lebens begangen zu haben. Er bittet Annie um
Vergebung, schwört, daß er alles bereut und sie liebt. Wie um ihn auf den
rechten Weg zurückzuführen, bemerkt der Vorsitzende:
    »Ihre Frau besucht sie regelmäßig mit
Ihrem Sohn im Gefängnis...«
    Dann läßt er sich weiter über die
Persönlichkeit des Angeklagten aus. Man erfährt, daß Mozère gern skiläuft,
schwimmt und alte Autos instand setzt. Gemeinsam mit Freunden hat er einen
Verein gegründet und organisiert Ausflüge. Er ist naturverbunden und eher
sanftmütig. Er hätte gern Drachenfliegen gelernt, ist jedoch zu ängstlich.
    »Haben Sie das Gefühl, im Berufsleben
versagt zu haben?« fragt Rechtsanwalt Dreyfus.
    »Ja. Ich wäre gern ›jemand‹ geworden:
Arzt oder Anwalt. Ich bin nur ein kleiner Arbeiter ohne Ehrgeiz, ein Versager«,
endet Mozère, immer noch weinend.
    »Haben Sie Angst vor dem Alter, vor dem
Tod?« fragt Dreyfus weiter.
    Selbstverständlich besitzt Mozère all
diese Schwächen! Geschickter Dreyfus, der über das Porträt des Ungeheuers das
des armen Kerls schiebt, der eher feige ist als bösartig!
    »Ich denke oft an meinen kranken
Vater«, murmelt Mozère. »Ich werde das Gefühl nicht los, daß auch mein Leben
mit 40 enden wird. Ja, ich habe große Angst vor dem Tod. Wenn ich mich Annie
gegenüber falsch verhalten habe, dann weil ich das Bedürfnis hatte, mich an
ihrer Jugend festzuklammern.«
    Welche Dreistigkeit!
    »Was haben Sie empfunden, als sie ins
Gefängnis gebracht wurden?« fragt Dreyfus.
    »Alles stürzte in sich zusammen. Mein
Leben blieb stehen. Alles verschloß sich hinter mir. Ich habe mit einer
Therapie angefangen, die mir hilft, mir dessen bewußt zu werden, was ich getan
habe. Es stimmt, ich habe mir eine schlimme Entgleisung geleistet. Ich weiß
nicht, warum... Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist... Verzeih mir, Annie,
verzeih mir...«
    Mozère weint immer heftiger, den Blick
auf die junge Frau gerichtet, die immer noch sehr gerade auf ihrer Bank sitzt
und immer blasser wird.
    Lastende Stille.
    Die klare Stimme des Staatsanwaltes erhebt
sich. Er liest ein Persönlichkeitsgutachten vor, das kraß dem Porträt
widerspricht, das Dreyfus für uns gezeichnet hat. Mozère wird als Mann
beschrieben, der beruflich und familiär das erreicht hat, was er sich
vorgenommen hatte.
    »Er hat Annies Jugend ausgenutzt, um
seine Lust zu befriedigen«, konstatiert der Staatsanwalt schneidend. »Ein
Verhalten, das durch den familiären Kontext gefördert wurde...«
     
    Dann werden die Zeugen der Verteidigung
aufgerufen.
    Michèle Raveau, 50 Jahre, Sekretärin.
Die Eheleute Mozère seien Freunde von ihr. Gute Freunde, »immer korrekt«,
versichert sie. Dieser guten Frau mit vertrauenerweckender Leibesfülle sei
Annie immer sehr lieb, »sehr brav« erschienen, keinesfalls aufreizend. Sie
scheine sich gut mit ihrem Stiefvater verstanden zu haben.
    Thérèse Damien, 37 Jahre, ebenfalls
Sekretärin. Ihr Mann sei ein Jugendfreund von Mozère. Ihrer Meinung nach habe
es in der Familie Mozère keine Probleme gegeben.
    »Alain ist ausgesprochen hilfsbereit«,
erklärt sie, sehr deutlich artikulierend. »Er schien sich gut mit seiner Frau
zu verstehen, und Annie machte einen glücklichen Eindruck. Wir unternahmen
einiges zusammen, Restaurantbesuche oder Ausflüge mit dem Oldtimer-Club. Es
lief alles bestens. Annie begleitete ihre Mutter und ihren Stiefvater. Sie war
fröhlich, unbeschwert. Als ich hörte, daß sie Alain gewisser Übergriffe
beschuldigte, habe ich versucht, mit ihr zu reden. Aber sie zog zu ihrem Vater,
und ich habe sie nicht mehr gesehen.«
    Dann ist ihr Mann, ein 40 Jahre alter
LKW-Fahrer, an der Reihe, nachdem er geschworen hat, »die Wahrheit zu sagen,
die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit...«
    »Ich glaube einfach nicht, daß Alain
schuldig ist! Er ist ein anständiger Kerl. Sehr hilfsbereit. Er kann keiner
Fliege etwas zuleide tun. Wenn es eine sexuelle Beziehung zwischen ihm und
Annie gegeben hat, dann mit gegenseitigem Einverständnis. Annie ist ein liebes
Mädchen, aber nun ja, mit 16 wurde sie aufreizend. Sie begann, mit den Männern
zu flirten. Ich habe sogar zu Alain gesagt, daß ich an seiner Stelle ein
solches Benehmen nicht tolerieren würde! Aber er ist zu schwach, zu lieb. Er
kommt leicht ins Schleudern.«
    Frage von Maître Crifo, der Anwältin
von Annie:
    »Welcher Art war die Beziehung zwischen
Annie und
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